Kinderrente statt Babyjahre verlangt

Kindererziehung soll für Rentenhöhe genausoviel zählen wie eingezahlte Versicherungsbeiträge/ Systeme der Alterssicherung auf dem Prüfstand/ Bundesverfassungsgericht angerufen  ■ Von Kostas Petropulos

Maria Weber, 71 Jahre, verwitwet und Mutter von fünf Kindern, blickt auf ihr Arbeitsleben zurück: „Ich hab' zehn Jahre gearbeitet und fünf Jahre freiwillig den Mindestbeitrag weiterbezahlt. Nur damit ich überhaupt Rente bekomm'. Zunächst hab' ich zwei Jahre lang meine Mutter gepflegt, bis sie gestorben ist. Das war bevor unser erster Sohn kam, und dann ging's so weiter mit den Kindern.“ Und die wollte sie nicht in fremde Hände geben, um den Einfluß auf ihren Charakter und ihre Erziehung nicht zu verlieren.

Als der jüngste Sohn 1969 nach dem Abitur auszog, war Maria Weber 59 Jahre alt. Auf dem Arbeitsmarkt hatte sie keine Chance mehr: „Zu alt!“ Sie mußte zu Hause bleiben und auf ihren ersten Rentenbescheid warten, der zum 65.Geburtstag kam: 391 Mark. Als Hausfrau freute sie sich zunächst darüber, aber ohne die Rente ihres Mannes müßte sie sich beim Sozialamt melden. „Es ist so, daß ich und auch alle anderen Mütter, die Kinder erziehen, die deshalb nicht berufstätig sein können, eben doch im Nachteil sind gegenüber den Frauen, die immer berufstätig sein können und dann entsprechend Rente bekommen später. Und ich habe dann die Zeit geopfert für die Kinder, damit die recht erzogen werden, und die sind ja jetzt auch alle in Arbeit und sorgen wie für die nächste Generation für die Rente, aber ich bin dabei die Dumme.“

Tatsächlich trifft die Altersarmut gerade Mütter besonders stark. Nach einer vor kurzem veröffentlichten Untersuchung des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung in Berlin beziehen 41 Prozent aller Frauen der Geburtsjahrgänge 1919 bis 1921 überhaupt keine Rente. Auch bei den ausgezahlten Renten steht diese Altersgruppe schlecht da: 34 Prozent aller Frauen bekommen weniger als 300 Mark im Monat, bei den Männern lag keine einzige Rente so niedrig.

Maria Weber jedenfalls wollte ihre Minirente nicht widerspruchslos hinnehmen. Mit Unterstützung des Deutschen Familienverbandes legte sie 1986 Verfassungsbeschwerde gegen ihren Rentenbescheid ein. Auch die 71jährige Rosa Rees will von den Karlsruher Richtern prüfen lassen, ob ihr Rentenbescheid wirklich rechtens ist. Ihre entscheidenden Lebensdaten: 15 Jahre Arbeit als Küchen- und Haushaltshilfe, nach dem Krieg jahrelang die Schwiegereltern bis zu ihrem Tode gepflegt, zwischen 1952 und 1966 zehn Kinder zur Welt gebracht, und schließlich mußte sie auch auf ihrem Bauernhof kräftig zupacken, da ihr Mann mit einem amputierten Oberschenkel aus dem Krieg zurückkam. Ihr „Lohn für diese Lebensarbeitsleistung“, wie Bundesarbeits- und Sozialminister Norbert Blüm die Rente gern nennt: 346 Mark. Gleichzeitig müssen ihre Kinder, die alle arbeiten, Monat für Monat rund 8.500 Mark an die Rentenversicherung abführen.

„Ein himmelschreiendes Unrecht, das da an den Müttern begangen wird“, empört sich Jürgen Borchert, der juristische Beistand von Maria Weber und Rosa Rees. Der Richter am Hessischen Landessozialgericht in Darmstadt kämpft schon seit den siebziger Jahren für eine angemessene Bewertung der Kindererziehung — weder in der Steuerpolitik noch bei der Rente sei das bisher der Fall. Krassestes Beispiel dafür: das sogenannte Babyjahr. „Das Babyjahr bedeutet, daß heute einer Frau für die Geburt und die Erziehung eines Kindes auf dem Rentenkonto knapp 31 Mark gutgeschrieben werden. Das bedeutet, daß eine Mutter 35 Kinder haben müßte, wollte sie eine Altersversorgung haben, die einer durchschnittlichen Sozialhilfeleistung im Alter entspricht — eine reine Verhöhnung der Mütter!“

Selbst die Rentenversicherungsträger halten das Babyjahr für unzureichend. Trotzdem wollen sie Maria Weber und Rosa Rees keine höhere Rente bezahlen. Ihr Argument, mit dem sie sich auch vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigen: Von den Kindern der beiden Frauen und anderer Mütter profitiert die gesamte Gesellschaft. Deshalb müsse der Staat, genauer die Steuerzahler, für eine angemessene Honorierung der Kindererziehung sorgen.

„Falsch!“, antwortet Rechtsbeistand Jürgen Borchert und hält dem entgegen: Das bestehende Rentenrecht selbst ist schuld an der Benachteiligung der Mütter. Denn wer nur Rentenbeiträge einzahlt, aber selbst keine Kinder großzieht, bekomme im Vergleich zu Eltern eine viel zu hohe Rente: „Das was die Jungen an die Alten in Form von Renten oder in Form von Beamtenversorgung abgeben, das ist innerhalb von ein bis drei Monaten vollständig verbraucht. Und es gibt nichts, was an Vorleistung für die eigene Alterssicherung bleibt. Das ist aber die irrige Vorstellung, die die meisten Leute haben, wenn sie ihre Rentenbeiträge zahlen, daß sie damit etwas für ihr eigenes Alter tun. In Wahrheit versorgen sie nur ihre eigene Elterngeneration.“

Fazit: Ohne die Kinder von heute bekommen die Rentner von morgen keinen Pfennig. Deshalb würden gerade Eltern einen wichtigen Beitrag für die zukünftige Stabilität des Rentensystems leisten. Da aber das gegenwärtige Rentensystem diese Tatsache ausblende, komme es zu einer regelrechten Ausbeutung der Familie. Die Familienverbände rechnen für 1992 mit rund 130 Milliarden Mark, die ihrer Meinung nach zu Unrecht an kinderlose oder kinderarme Rentner und Pensionäre bezahlt werden. Diese horrende Summe, so fordern die Kritiker, muß endlich wieder den Familien zugute kommen. Dazu müßten sich alle Systeme der Alterssicherung in Zukunft nach folgendem Grundsatz ausrichten: Für die Rentenhöhe zählt die Kindererziehung genausoviel wie die abgeführten Versicherungsbeiträge.

Ob die Richter des Bundesverfassungsgerichtes diesem Grundsatz zustimmen, wird sich noch zeigen. Der Rechtsbeistand und die Klägerinnen rechnen sich bei den Karlsruher Richtern jedenfalls gute Chancen aus. Die hatten nämlich in einer familienpolitischen Entscheidung vom Mai 1990 wörtlich erklärt: „Es wird allerdings als Mangel des Generationsvertrages, der dem Alterssicherungssystem zugrunde liegt, angesehen, wenn das durch die Kindererziehung bedingte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben mit Einbußen bei der späteren Rente bezahlt wird, obwohl Kinder die Voraussetzungen dafür sind, daß die Rentenversicherung überlebt.“ Die Entscheidung der obersten Richter wird im Herbst erwartet.