Regierungskoalition gerät ins Trudeln

■ Neue Höhepunkte im Bonner Parteienknatsch/ CSU-Landesgruppenchef Bötsch serviert unsoziale Sparpläne

Bonn (dpa/ap/taz) — Der durch Genschers Rücktrittsankündigung ausgelöste Krach inner- und außerhalb der Bonner Regierungskoalition strebte am Wochenende neuen Höhepunkten entgegen. Unions-Fraktionschef Schäuble warnte die FDP davor, den Bogen des Zumutbaren zu überspannen, während sein FDP- Kollege Hermann Otto Solms den Fortbestand der Koalition wegen Absetzbewegungen der CSU gefährdet sieht. CSU-Landesgruppenchef Wolfgang Bötsch forderte die FDP auf, ihre „Blockadepolitik“ bei Asyl, Pflegeversicherung und Kriminalitätsbekämpfung aufzugeben. Meinungsumfragen bescheinigten der Koalition einen Tiefststand ihrer Popularität.

Der Bonner FDP-Fraktionsvorsitzende Hermann Otto Solms prophezeite in der 'Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‘ ein Ende der Koalition, falls das Kabinett nicht bis zur Sommerpause über wesentliche Eckpunkte entscheiden könne. Dazu zählte er eine vernünftige Wirtschafts- und Finanzpolitik.

Die Sozialdemokraten wiederum wissen nicht so genau, unter welchen Umständen sie Neuwahlen fordern sollen. SPD-Bundesvorstandsmitglied Heidemarie Wieczorek-Zeul will, daß neu gewählt wird, Oskar Lafontaine auch, „wenn die Regierung nicht mehr weiter weiß und die Koalition auseinanderbricht“. Parteichef Björn Engholm strebt Neuwahlen nur dann an, wenn die Regierung ihre Aufgaben nicht erledigen könne. Der frischgekürte CDU-Generalsekretär Peter Hintze wies Forderungen nach Neuwahlen als „abwegig“ zurück.

Koalitions-Politiker verlangten unterdessen von Bundeskanzler Kohl, die für die Jahreswende geplante große Kabinettsumbildung vorzuziehen. CSU-Generalsekretär Erwin Huber sagte: „Jetzt wäre genau der richtige Zeitpunkt, um die Konsequenzen aus den Wahlniederlagen zu ziehen und mit neuen Gesichtern und neuen Ideen vor die Bürger zu treten.“ In der 'BZ am Sonntag‘ verbreitete sich der CSU-Bundestagsabgeordnete Dionys Jobst mit der Ansicht, ein Austausch von Köpfen genüge nicht. „Vielmehr sollte das künftige Kabinett verkleinert werden.“ Wolfgang Bötsch wiederholte den alten Wunsch, die Union solle künftig einen Staatsminister im Auswärtigen Amt stellen.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bundestagsfraktion, Heiner Geißler, warnte seine Partei davor, sich von Schwächen und Fehlern des Koalitionspartners FDP nach unten ziehen zu lassen. Kanzleramtsminister Friedrich Bohl riet dazu, das Gerangel um die Nachfolge Genschers nicht überzubewerten. Personalentscheidungen seien immer schwierig in allen politischen Parteien.

Auch im Innern der FDP brodelte es am Wochenende weiter. Achim Rohde, Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, rechnet für die heute anstehenden Beratungen des FDP- Bundesvorstandes mit dem Ruf nach einem Rücktritt von Parteichef Lambsdorff. Voraussichtlich werde auch über eine Kabinettsumbildung gesprochen werden, einschließlich der schon angedeuteten Ablösung des aus Ostdeutschland stammenden Bildungsministers Rainer Ortleb. Mehrere FDPler, zum Beispiel Gerhart Baum, wollen angeblich „zum Sturm blasen“ und einen Sonderparteitag verlangen. Nur Irmgard Schwaetzer ist wieder lieb. Die Beinahe-Außenministerin bezeichnete die Rücktrittsforderungen an Lambsdorff als falsch. Es komme jetzt darauf an, daß die Freien Demokraten das Vertrauen der Bevölkerung zurückgewännen.

Neuen Auftrieb dürfte das Bonner Parteiengezänk durch die angekündigten Sparmaßnahmen im Bundeshaushalt erhalten, die vermutlich auch wichtigstes Thema des für Ende Mai geplanten Gesprächs zwischen Bundeskanzler Kohl und Oppositionschef Engholm werden. Die erste Bombe ließ der CSU-Landeschef Bötsch in der 'BamS‘ platzen, wo er insbesondere Kürzungen im Sozialetat ankündigte. Danach müssen Aussiedler und Ostdeutsche, die wenig oder gar nichts in die Rentenkassen eingezahlt haben, mit Einsparungen rechnen. Ferner würden künftig Sozialwohnungen weniger luxuriös ausgestattet und „Mißbrauch“ beim Arbeitslosengeld und bei der Sozialhilfe abgestellt. Das seien die Kernpunkte des „Sparpakets“, das Finanzminister Waigel (CSU) noch im Mai dem Kabinett präsentieren will. bg