Bündnis 90 will nur noch grün werden

Erster Parteitag der Bürgerrechtsbewegung in Berlin beschließt exklusive Verhandlungen zum Zusammenschluß mit den Bundes-Grünen/ Programmierter Streitpunkt ist die paritätische Besetzung  ■ Aus Berlin Mathias Geis

„Auf dem Weg“ lautete das Motto, unter der sich die Delegierten des Bündnis 90 am Wochenende in der ehemaligen Ost-Berliner Akademie der Künste versammelt hatten. „Gemeinsam mit den Grünen“, so lautet die Ergänzung, zu der sich die Bürgerbewegten nach teilweise heftigen Kontroversen am Sonntagnachmittag durchgerungen hatten. Dabei war von Anfang an nicht das Zusammengehen mit den Grünen, sondern die Modalitäten der bevorstehenden Verhandlungen und der Charakter einer künftigen gemeinsamen Organisation umstritten. „Offener oder geschlossener Prozeß“ pointierte Bündnissprecher Erhard Müller den Dissens, an dem sich die Delgierten zwei Tage lang ineinander verhakten. Die Mehrheit des Bundessprecherrates, darunter die Bundestagsabgeordneten Werner Schulz und Wolfgang Ullmann setzte dabei auf zielstrebige und faktisch exklusive Verhandlungen mit den Grünen an deren Ende die Bildung einer gemeinsamen Organisation stehen soll.

Gemäß dem Motto „das kann doch nicht alles gewesen sein“ setzte die Gegenposition, vertreten von Petra Morave und Wolfgang Templin auf einen Konstituierungsprozeß, der über den bloßen Zusammenschluß der beiden Partner hinausgehen sollte. Nur dann könne von den Verhandlungen ein Signal der „Öffnung in die Gesellschaft“ ausgehen, wenn diese auch für andere demokratische und ökologisch orientierte Kräfte und Organisationen offenstünden.

„Wir wollen“, so Wolfgang Templin „keine uferlose Öffnung, sondern eine klare Pro-Option für die Grünen und einen ebenso klar eingegrenzten Zeitraum für gleichberechtigte Gespräche mehrerer Partner.“ Darin aber sah Werner Schulz, in Erinnerung an frühere Bündnis-Verhandlungen zwischen den Oppositionsgruppen nur den Versuch einer „Quadratur des Runden Tisches“, an dem auch das Bündnis mit den Grünen scheitern könne.

„Wir werden noch lange mit eigener Stimme etwas eigenes zu sagen haben“ versuchte Schulz in einer glänzenden Rede für den Leitantrag des Sprecherrates die weitverbreiteten Befürchtungen vor der grünen Dominanz abzubauen. Zugleich warb er dafür, die „eigenen Kräfte realistisch einzuschätzen“; es sei eine Illusion, wenn einige jetzt „Splittergruppen sammeln“ wollten. Damit schaffe man keine neue Bürgerbewegung, sondern nur „ein sich selbst verschleißendes Gremium“. Es lohne nicht, auf einen „Ballon“ zu setzen, bei dem sich am Ende leicht herausstellen könnte, daß er „nicht steigt und trägt, sondern platzt“. Dabei habe ein Votum für Verhandlungen mit den Grünen nicht nur den Pragmatismus auf seiner Seite; vielmehr seien es die inhaltlichen Gemeinsamkeiten, die für ein Zusammengehen sprächen. Im Grunde seien doch auch die Grünen eine — wenn auch „im Strömungsstreit verkümmerte — Bürgerbewegung“, die zu ihrer Erneuerung des Bündnis-Stachels bedürfe.

Petra Morave betonte in ihrer Begründnung des Änderungsantrage den inhaltlichen Konsens beider Positionen. Die Grundidee demokratischer, ökologischer und menschenrechtlicher Politik jedoch lasse sich nur in einem breiten Bündnis, nicht in der Verschmelzung zweier bereits vorhandener Organisationen verwirklichen. „Es fällt mir schwer zu glauben“, so Frau Morave, „daß der einzige Weg, unser Projekt zu befördern, der organisatorische Zusammenschluß mit den Grünen ist.“ Die bevorstehenden Verhandlungen müssten ein Signal für das Zusammengehen aller Kräfte geben, die sich mit der politischen Grundidee identifizieren könnten.

Am Applaus, den die Redner der unterschiedlichen Positionen erhielten, ließ sich eine Mehrheit kaum erkennen. Eher drückte sich im wechselseitigen Zuspruch für beide Varianten eher die Unlust aus, über die Zukunftsfrage des Bündnis 90 am Ende in einer Kampfabstimmung zu entscheiden. Dann, so der Bundestagsabgeordnete Konrad Weiß, werden am Ende „nur Verlierer den Saal verlassen“.

Daß es nicht soweit kam, hing paradoxerweise mit der Polarisierten Debatte zusammen, die sich am Samstagabend an der Frage möglicher weiterer Verhandlungspartner für die neue Organisation entzündete. Plötzlich machten Gerüchte die Runde, der Brandenburgische Landesverband von Bündnis 90 führe bereits Verhandlungen mit der ÖDP, einer von Wertkonservativen getragenen Grünen-Abspaltung. Werner Schulz kündigte „härtere Bandagen“ an, wenn sich als wahr herausstelle, daß einige den geschlossenen Übertritt der ÖDP zum Bündnis planten. Nachdem klargestellt worden war, daß es zwar Vorgespäche aber keine Verhandlungen gegeben habe, wurde das Sprechergremium in eine Nachtsitzung entlassen, um einen Kompromißantrag zu formulieren. Doch mit der vorangegangenen Polarisierung waren die Weichen gestellt.

Verabschiedet wurde am Sonntagnachmittag dann mit deutlicher Mehrheit ein Beschluß, der auf exklusive Verhandlungen mit den Grünen hinausläuft. Die Grünen wurden damit — „bei allen unterschiedlichen Erfahrungen in gegensätzlichen Systemen“ — als „authentische Partner“ der Bürgerbewegten anerkannt. Mit ihnen solle das neue „Bündnis für Demokratie, Ökologie und Menschenrechte“ geschlossen werden. Als Bedingung wurde die paritätische Besetzung der Verhandlungskommission sowie — für zwei Wahlperioden — des Sprechergremiums der gemeinsamen Organisation beschlossen.

„Ich bin froh, daß ihr jetzt dazu kommt“, interpretierte Grünen Sprecher Ludeger Volmer den Delegierten unmittelbar nach der Abstimmung, ihre Entscheidung. Daß die Forderung nach Parität des künftigen gemeinsamen Vorstandes für die Grünen kaum akzeptabel sei, daran hatte deren Geschäftsführerin Heidi Rühle bereits am Vortag keinen Zweifel gelassen. Die Entscheidung für die Grünen ist gefallen, jetzt wird das Bündnis, einem Rat von Joschka Fischer folgend, hart verhandeln müssen. Die Perspektive der Bürgerbewegten ist am Wochenende klar, ihr Spielraum enger geworden.