Fall Stolpe wird zum Fall der Kirche

Ministerpräsident Manfred Stolpe präsentiert acht kirchliche Mitstreiter, die ihn entlasten sollen/ Drei der acht sollen selbst als Inoffizielle Mitarbeiter bei der Stasi tätig gewesen sein  ■ Aus Potsdam Wolfgang Gast

Der Brandenburger Ministerpräsident Manfred Stolpe (SPD) geht in die Offensive. Überraschend präsentierte er gestern anstelle der angekündigten drei gleich acht seiner kirchlichen Mitstreiter, die in seine früheren Kontakte zum Staatssicherheitsdienst eingeweiht waren, die eigene Kontakte zur Stasi unterhielten und mit denen Stolpe Strategien zum Umgang mit dem Geheimdienst abgesprochen haben will.

Alle acht, darunter der Greifswalder Oberkonsistorialrat Siegfried Plath, der Leiter des Konsistoriums der pommerschen evangelischen Kirche Hans-Martin Harder und der Cottbusser Generalsuperintendent Reinhard Richter, bestätigten Stolpes Angaben, wonach sie ein „besonderes Vertrauens- und Zurufsverhältnis“ zum früheren Leiter des Sekretariats beim evangelischen Kirchenbund unterhalten hätten. Aus der gemeinsamen „Tageserfahrung“ zwischen den 60er und 80er Jahren seien sie zu der gemeinsamen Überzeugung gelangt, „daß es notwendig war, uns alles Mögliche zu tun, um etwas zu bewegen“. Als „Ultima ratio“, wenn über Partei oder Staatsapparat nichts mehr ging, seien auch Gespräche mit der Staatssicherheit geführt worden.

„Etwas bewegen zu wollen“ war das Schlüsselwort, das den wegen seiner Stasi-Kontakte seit Anfang des Jahres in Bedrängnis geratenen Manfred Stolpe gestern bei der Pressekonferenz in der Kantine der Potsdamer Staatskanzlei entlasten sollte. In unterschiedlichen Ausprägungen hatten Stolpes Mitstreiter nach eigenem Bekunden selbst in ihren Bemühungen um humanitäre Fragen Kontakte zur Stasi aufgenommen und unterhalten. Zu den weiteren Vertrauenspersonen Stolpes zählen der frühere Stadtjugendpfarrer Martin- Michael Passauer, der Eisenacher Altbischof Ingo Braecklein, der ehemalige Leiter des Sekretariats des Bundes der Evangelischen Kirchen Martin Ziegler, der frühere Landesjugendpfarrer Rolf-Dieter Günther und der Direktor der Berliner Stephanus-Stiftung Werner Braune.

Ebenso wie Stolpe trafen sie sich mit den Stasi-Offizieren auch nicht nur in den Diensträumen der Kirche. Der frühere Leiter des Sekretariats beim Evangelischen Kirchenbund, Martin Ziegler, räumte ein, sich im Zuge der humanitären Bemühungen mit Mitarbeitern der Stasi auch in seiner Privatwohnung getroffen zu haben. Der Leiter des pommerschen Konsistoriums Harder traf sich nach eigenen Angaben in dringenden Fällen auch am Rande von Kirchenveranstaltungen „mal für eine halbe Stunde“ mit Stasi-Mitarbeitern.

Manfred Stolpe habe immer wieder versucht, die Kirchenmitarbeiter zu Versuchen zu bewegen, den Spielraum der Kirchen zu erweitern oder wenigstens aufrecht zu erhalten. „Strategisch gedacht“ habe Stolpe, sagte Oberkonsistorialrat Plath, der heutige Ministerpräsident habe „Schritte an uns weitergegeben, die wir vor Ort namhaft machen sollten“.

Mindestens drei der Kirchenmänner müssen sich nach ihrem gestrigen Auftritt jetzt der gleichen Frage wie Stolpe stellen, ob sie in ihren „Bemühungen“ nicht zu weit gegangen sind. Außer dem Eisenacher Altbischof Ingo Braecklein räumten auch der frühere Brandenburger Landesjugendpfarrer Rolf-Dieter Günther und der Oberkonsistorialrat Harder ein, einer „inoffiziellen Mitarbeit“ für den Staatssicherheitsdienst verdächtigt zu werden. Altbischof Braecklein erklärte, vor einem Jahr erstmals von dem Vorwurf erfahren zu haben, als „IM Ingo“ dem Geheimdienst gedient zu haben. Mit dem Argument, er könne sich nicht vorstellen, daß irgendein Geheimdienst seinem Informanten den eigenen Vornamen als Decknamen gibt, wies er den Vorwurf zurück. Der frühere Landesjugendpfarrer Günther hat davon gehört, als „IM Josef Grübler“ bei der Stasi geführt worden zu sein. Günther hofft nun, daß die Gauck-Behörde schnellst möglich seine Akte findet, um den Vorwürfen entgegentreten zu können.

Der Leiter des Konsistoriums Hans-Martin Harder hat, wie er sagte, vor einiger Zeit telefonisch von seinen „ehemaligen Verhandlungspartnern“ erfahren, daß er „als IM mit dem Decknamen Dr. Winzer geführt“ wurde. Der Kontaktmann habe sich weiter bereit erklärt, unter Eid auszusagen, daß „fast alle“ der Gesprächspartner auf seiten der Kirche von der Stasi ohne ihr Wissen als IM geführt wurden. Harder möchte nun versuchen, einen Kontakt zwischen seinem „Gesprächspartner“ und dem Direktor der Gauck- Behörde, Hans-Jörg Geiger, herzustellen.

Die Frage, ob es möglich war, jahrelang ohne eigenes Wissen als IM geführt worden zu sein, wie es auch der Brandenburger Ministerpräsident behauptet, ist von der Gauck-Behörde wiederholt verneint worden. Der Fall Stolpe hat sich mithin zum Fall der Kirche entwickelt.