Die Wolfsschlucht in 20 Sekunden

■ Seit 15 Jahren Vizetechniker des Bremer Theaters: Karl-Heinz Matitschka über Menschen, Marotten und Motoren

Das Theater, eine große Maschine zur Fortbewegung von Herzen, wäre bloß ein Kasten mit Vorhang ohne sein technisches Personal. 197 fleißige Heinzel und Lieschen sind allein am Bremer Theater vonnöten; ihnen steht der Technische Direktor vor, was ein Amt ist, dessen Träger speziell in Bremen oft gewechselt hat. Der Vize ist aber immer der gleiche geblieben: Seit 15 Jahren ist Karl- Heinz Matitschka am Hause, rund zehn davon als Stellvertreter ungezählter Direktoren. Die taz teilte ein Stündchen lang Freud und Leid mit ihm.

taz: Theaterleute erzählen am liebsten von dem Tag, an dem sie damals dem Theater verfallen sind. Und Sie?

Karl-Heinz Matitschka: Bei mir war's meine Frau. Die hat gesagt: Mensch, bewirb dich da mal, da haste 'n geregelten Dienst. Ein schwerer Irrtum, wie sich zeigte.

Was haben Sie vorher gemacht an Ungeregeltem?

Bei meiner früheren Firma hab ich Spezialmöbel gebaut, für den letzten Urenkel des Kaisers und solche Leute. Da warn wir andauernd auf Achse.

Jetzt haben Sie seit 15 Jahren mit Wellpappe statt Mahagoni zu tun.

Ja, aber ich möcht's nicht mehr missen, das Theater. Ständig hat man, das ist das Wunderbare, mit neuen Menschen zu tun.

In Ihrem Fall auch häufig mit neuen Technischen Direktoren.

Ja. Das lief ein bißchen tragisch von Anfang an. Als ich '81 grad vom Bühnenhandwerker zum technischen Assistenten aufgerückt war, fiel hier im Büro, wo wir sitzen, der Technische Direktor Cronenberg um und war tot. Wenige Monate später starb auch noch sein Nachfolger Leisching an Herzinfarkt. Und vor den Toren stand schon damals der neue Schauspielleiter Krämer und wollte zur Eröffnung drei Premieren hintereinander machen. Da hatte ich zu tun. Neunzig Stunden die Woche. Später dann brachte der Intendant Richter seinen Karel von Preiß als Technischen Direktor mit; der scheiterte nach einem halben Jahr, und ich war wieder alleine. Dann kam Voß ans Ruder und nach ihm, für ein Vierteljahr, Stührenberg. Und ich war zwischendrin immer der Interims-Chef.

Aber es hat Sie nicht verdrossen?

Nee. Wo sonst hat man ständig was zu erfinden? Als wir damals zum Beispiel den „Freischütz“ machten mit bombastischer Dekoration, da mußten wir trotzdem in 20 Sekunden von Agathes Zimmer auf Wolfsschlucht umstellen. Ich kann Ihnen sagen, das hat wochenlange Sandkastenspiele erfordert, bis wir die Tricks raushatten. Wegen sowas hab ich seit zehn Jahren keinen Urlaub mehr gemacht. Die Zeit nütze ich, um jeden Sommer zu den Bayreuther Festspielen zu fahren.

Das ist Leidenschaft.

Ach. Was man da alles allein an Prominenz trifft. Prinz Charles, König Konstantin: alle kennengelernt. Da erleben Sie zum Beispiel den dicken Strack aus'm Fernsehen, wie er vor Wolfgang Wagner einen Kniefall macht und seufzt: „Es war ein Traum!“; und in diesem Sommer werde ich den Domingo kennenlernen. Übrigens krieg ich in Bayreuth, wo ich inzwischen Erster Bühneninspektor bin, auch mit, was technisch alles ginge, wenn man's hätte.

Ein bißchen hat man ja auch.

Ja, rein bühnentechnisch gehört das Bremer Theater jetzt zur A-Klasse. Aber wer sich eine solche Maschinerie leistet, müßte auch Geld für die Leute haben, die das bedienen und warten sollen.

Funktionieren eigentlich die Hebebühnen schon wieder?

Nunja, wir hatten Ärger mit den Lichtschranken. Eigentlich sind die dafür da, daß die Podien niemanden einquetschen, wenn sie auf- und niederfahren. Aber die Lichtsicherung war einfach zu gut, die sprach schon auf jede Kunstschneeflocke an. Mittlerweile haben wir das im Griff.

Und die berühmt gewordene Luftkissenmaschine von Stührenberg, ihrem vorletzten Chef? Ist die noch in Betrieb?

Schon; aber es lohnt kaum, das Ding jeweils in die Kulissenteile einzubauen. Zwar lassen sich dann tonnenschwere Dekorationen bewegen, aber die Luftkissenmaschine ist selber so schwer, das erhöht den Aufwand ins Enorme. Sie müssen sich vorstellen: Wir arbeiten da mit Flaschen, die stehen unter einem Druck von 220 bar. Das zischt dann außerdem so laut, daß es mit Musik übertönt werden muß.

Seinerzeit galt das als Erfindung.

Ja. Jetzt liegt es rum. Vier Monate haben wir dran gebaut; und es hat ein Heidengeld gekostet.

Wieviel?

Na, so 150.000 Mark.

Davon hat man wenig gesehen.

Das Ding ist einfach auch störanfällig. Wie oft war eines der vierzehn Luftkissen kaputt; allein das Auswechseln war, bei den schweren Kulissenteilen, eine Schufterei. Dann mußten wir, weil die Maschine ja nur einen Millimeter über der Bühne schwebte, alle Spalten im Boden abkleben, sonst sackte die sofort ab. Wir brauchten Spezialklebebänder, weil die gewöhnlichen dem enormen Druck nicht standhielten.

Wenn Sie mal das Geld vergessen: Wovon träumt ein Theatertechniker? Von raffinierten Lasern und anderem Zauber?

Laser wären schon toll. Das geht jetzt so richtig los an den großen Bühnen. Wände, Tunnels, bewegliche Kulissen aus Licht. Aber uns täten erst einmal ganz gewöhnliche Projektoren gut. Die unseren sind zwanzig Jahre alt und so groß, daß sie nicht mal hier durch die Tür passen. Da überlegen Sie dreimal, ob Sie sich mit solchen Ungetümen plagen. Interview: Manfred Dworschak