Voll korrekt

■ Popdenker Diederichsen in der Galerie Brunnet

Wenn die politische Realität die Modelle überholt, darf sich der Materialist zwar einen Moment lang freuen, danach muß er aber wie gewohnt seinem Geschäft der rückwärts gewandten Kritik nachgehen. Mit dem Ausruf »Los Angeles brennt« begann Diedrich Diederichsen am traditionellen Arbeiterkampftag einen Vortrag, der dem Phänomen des politically correct gewidmet war. Und trotz der Ereignisse in den Vereinigten Staaten versuchte er, seinen sechswöchigen Aufenthalt in den USA reflektierend, konstruktive Zusammenhänge zwischen Krisenbewußtsein und gesellschaftlicher Utopie herzustellen.

Den Ausganggspunkt bildete ein leicht verschobener Blick auf die Geschichte. Die mit der Postmoderne einsetzende Diskussion über die Beweiskraft von Zeichen in der Ästhetik hat sich mehr und mehr in das soziale Terrain verlagert. Klassenbewußtsein und die Wahrnehmung von Politik seien überdies »einem inneren symbolischen Zugriff zugehörig« geworden. In den USA, die traditionell ein Patchwork von Nationalitäten und Minderheiten abgaben, ist daraus eine neue Problemstellung erwachsen. Die moralische Integrität des einzelnen muß sich an seiner Überzeugung ablesen lassen, wofür der Begriff des politically correct als Indikator dient. Öffentlich haben die Medien begonnen, Fragen wie Rassismus, Sexismus oder Schwulenfeindlichkeit exemplarisch statt abstrakt zu behandeln. Der Mensch ist wieder gefragt.

Doch schon führt der Mangel an Kommunikation, der Anlaß für ein wachsendes Geflecht aus engagierten Aussagen und Informationskanälen war, zu einer Inflation an Sinnstiftung. Dafür sieht Diederichsen vor allem die Rechten einstehen, die mit der Ver-ordnung von sozialem Gewissen die politische Durchschlagskraft verklären: Am Abend tritt in CNN George Bush als Zeuge der Anklage auf — auch er habe sich mit Frau und Kind über den Freispruch der prügelnden Polizisten empört. Mit Ausnahmezustand und Truppeneinsatz kehrten später prominente Bürger medienwirksam das beschmutzte Antlitz Amerikas in L.A. wieder rein (so wie Beuys einst die Karl-Marx-Straße nach dem 1. Mai gefegt hat).

Natürlich sieht der altlinke Popdenker die wirklichen Gründe für die Ablösung der postmodernen Katastrophenfeier durch die Vereinigung nachdenklicher Multikulturalisten in den materiellen Gegebenheiten. Spaß kostet, aber das Geld fehlt. Trocken schüttelt Diederichsen jedoch den Schleier der Vernunft von der alltäglichen Betroffenheit ab. Auch mit endlosen Symposien läßt sich Karriere machen, aber die schwarzbunten Aktivisten könne man nicht durch Gerede verstehen. Männer der Tat fordert er allerdings nicht ein unter seinen zahlreichen Berliner Zuhörern. Immer wieder muß er über die absurde Situation lächeln. Los Angeles brennt, während er in der einbrechenden Dämmerung seinen Text nicht mehr entziffern kann. Denn wegen großen Andrangs mußte der Vortrag aus den Räumen der Galerie Brunnet in den angrenzenden Hinterhof verlegt werden. Umsonst und draußen. Diederichsen hätte auch einen großen Hörsaal gefüllt, doch die Akademien blieben geschlossen. Schließlich war Arbeiterkampftag, unter anderem auch für das Betriebspersonal und Studenten— politisch also alles voll korrekt. Harald Fricke