Pedal-Leistung muß sich wieder lohnen! Von Mathias Bröckers

Strahlende Sonne über Berlin, das richtige Wetter für den Beginn der heißen Streikphase. Nicht daß man sich gleich vorkäme wie in Peking, aber es sind schon regelrechte Massen, die an diesem Montag morgen per Fahrrad unterwegs sind. Vielen sieht man am noch etwas ungelenken Fahrstil an, daß es Jahrzehnte her sein muß, seit sie sich zum letzten Mal auf den Hirsch geschwungen haben.

Aber es funktioniert und macht so offensichtlich Laune, daß eine günstige Streikprognose schon jetzt gegeben werden kann: Einige von denen, die mit sanfter Gewalt aufs Rad gezwungen wurden, werden dabei bleiben und auch künftig ohne Auto, Bus oder Bahn zur Arbeit kommen. Weshalb die Gewerkschaften, wenn ein paar lächerliche Lohnprozente, die die ganze Todesspirale ewigen Wachstums nur einen Zacken weiterschrauben, nicht alles gewesen sein sollen, eigentlich gleich noch eine Streikforderung anhängen müßten: Kilometergeld für alle, die für den Weg zur Arbeit das Rad benutzen. Und zwar mindestens exakt in der Höhe, die jeder Autofahrer für die tägliche Fahrt ins Büro abrechnen kann. 41 Pfennig für jeden gestrampelten Kilometer würden selbst notorische Autonarren zum Umsteigen locken, und manchen Fernpendler in aller Früh aufs Rennrad.

Der eigentliche Witz aber ist: Die Finanzierung eines solchen Kilometergelds steht! Die Krankenkassen müßten sich geradezu darum reißen, an der Bezahlung einer solchen Steuerreform schnellstens beteiligt zu werden. Denn: Es gibt keine bessere Gesundheitsreform, als täglich zwanzig Minuten zu radeln. Ja, die ganze leidige Diskussion um die Pflegeversicherung könnte sich alsbald erübrigen, wenn es gelänge, die Deutschen massenhaft auf den Drahtesel zu locken, indem man ihnen die Möhre Kilometergeld vorhält. Und so mit einem Schlag zwei Killern das Handwerk legt, dem Herz- und dem Verkehrsinfarkt, die ja beide ursächlich zusammenhängen: Die Menschen bewegen sich zuwenig, die Autos zuviel. Ergebnis: verfettete, bewegungsunfähige Pflegefälle auf der einen, vergiftender, bewegungsunfähiger Dauerstau auf der anderen Seite.

Nun mag unser neuer Fiesekanzler Möllemann ja rein physiognomisch eher in ein BMW-Cabrio als auf ein Radl passen, dennoch sollte man dem oft als „Windmaschine“ verunglimpften Wirtschaftsminister durchaus zutrauen, daß er die makro- ökonomischen Profite einer solchen Pedal-Subvention erkennt und auf den Weg bringt.

Gerade jetzt, wo der Fuchs Genscher dieses wunderbare Spektakel um seinen Abgang inszeniert hat, angesichts dessen selbst ein Szene- Kenner wie Rudolf Augstein interpretationsmetaphorisch schwer ins Schwimmen gerät („Schiff über Bord“). Dabei hat Häuptling Big Ear doch nichts anderes im Sinn, als seinen Stamm rechtzeitig wieder ins Oppositionslager zu führen, weil sein Radar längst registriert hat, daß aus dieser Regierung heraus bei der nächsten Wahl keine fünf Prozent mehr zu holen sind. Wenn der ehrgeizige und umtriebige Möllemann also Vizekanzler bleiben will, muß er sich schon was einfallen lassen, und was käme da gelegener, als sofort eine populäre Lehre aus dem Streik zu ziehen und erhöhtes Kilometergeld (plus zusätzlicher Schlechtwetterzulage) für die Radfahrt zum Arbeitsplatz als erste Sofortmaßnahme durchzusetzen? Unter dem astrein liberalen Motto: Pedal-Leistung muß sich wieder lohnen!