Frischobst-Trottel in Eurokratien

■ Start der gevierteilten Komödie: „Der große Reibach“, 20.50Uhr, ZDF

Berlaymont bei Brüssel: Das Hauptquartier der EG-Administration ist ein modernes Babel der Bürokratie, belagert von Schiebern, Gangstern und Geheimagenten. Mit seiner vor hintersinnigem Wortwitz schillernden Eurosatire Der große Reibach hat der englische Regisseur David Tucker diesen brandaktuellen Stoff nach dem Buch von Malcolm Bradbury zu einem atemberaubend komischen TV-Vierteiler verarbeitet. Alles Wichtige erfahren wir gleich zu Anfang aus dem Mund von Mr. Spearpoint (Ian Richardson), einem hohen EG-Beamten: „Belgien besteht aus zwei verschiedenen Ländern, die zusammengelegt wurden. Zwei völlig verschiedene Völker, die einander nicht ausstehen können. Deshalb ist Brüssel ja ein solches Symbol der europäischen Einheit“, erklärt er seinem jungen deutschen Assistenten Dorfmann (Christoph Walz). Im Gegensatz zu dem ausgekochten „Eurokraten“ ist Dorfmann ein naiver Idealist. Durch sein Programm „Philosophie für die Dritte Welt“ hat er sich bei der Unesco profiliert, und zwar indem er Nietzsche nach Zaire brachte. „Ich habe keinen Abendanzug“, sagt Dorfmann, der gleich am ersten Tag einem feierlichen Empfang beiwohnen muß. „Sagen Sie, Sie sind Deutscher, man wird das verstehen“, wiegelt Spearpoint gedankenverloren ab. Ihm geht Wichtigeres durch den Kopf.

Mit der Leitung des Kulturbereichs ist der Engländer nicht zufrieden. Ihm schwebt das Landwirtschaftsressort vor, das das größte Budget verwaltet: „Nehmen Sie den Weg der Bücher, ich nehme den des Rindfleischs, und ich wette, ich bin vor Ihnen bei den Fleischtöpfen“, weist Spearpoint das EG-Greenhorn Dorfmann in seinen Tätigkeitsbereich ein. Als der Engländer tatsächlich zum Direktor für Landwirtschaft berufen wird, ist an die Beförderung eine Bedingung geknüpft: Als „Berater für Frischobst“ muß er ausgerechnet den trotteligen Dorfmann akzeptieren, der mit seiner Pfeife im Mund durch die Korridore irrt wie Jacques Tati in Die Ferien des Monsieur Hulot durchs Hotel. Mit Hilfe der ahnungslosen wie gutgläubigen Marionette will Generaldirektor Villeneuve (Jacques Sereyes) betrügerische Geschäfte mit Exportsubventionen abwickeln. „Ich denke und fühle wie Descartes und Voltaire. Aber hier in Brüssel muß ich handeln wie Robespierre“, charakterisiert der EG-Boß seine Amtsführung.

Ausgerechnet der als nichtsahnender Trottel gehandelte Dorfmann kommt den korrupten Machenschaften auf die Spur. Er ignoriert die ausdrückliche Mahnung seiner Sekretärin, nicht den Computer zu bedienen und entdeckt so den Frachtbericht einer Ladung Oliven, die kreuz und quer durch Europa transportiert wurden, bis sie wieder zu Hause angelangt war. „Wieso“, fragt Dorfmann seinen Arbeitgeber, „steigt der Preis jedesmal, wenn sie von einem Land ins andere gehen?“ „Das nennt man Kapitalismus“, antwortet Spearpoint gelangweilt, „jeder verkauft an den anderen, und beide machen Gewinn.“ Doch auch eine Kommissarin für Landwirtschaft hat es sich in den Kopf gesetzt, dem Betrug ein Ende zu bereiten, und zähneknirschend muß Spearpoint Dorfmann auf die Olivengeschichte ansetzen.

Der große Reibach, eine Gemeinschaftsproduktion von Channel4, Antenne2, ORF, SRG und dem ZDF, ist kein fader Europudding, sondern eine spritzig erzählte Geschichte um Milliardenbetrug auf internationaler Ebene. Selten gelingt es einem Film, auf solch unterhaltsame Weise differenziert zu informieren. Neben der geradlinigen Inszenierung, die mit vergleichsweise geringem Budget ein Maximum an Wirkung erzielt, überzeugen die darstellerischen Leistungen von Ian Richardson und Christoph Walz. Weitere Folgen am 12., 19. Und 26.Mai. Eine zweite Staffel folgt im Herbst. Manfred Riepe