Betteln um den Ü-Wagen

Ein Kongreß zum bundesweiten Jugendradio und DT64 in Leipzig  ■ Aus Leipzig Christian Schulz

„Wird der Osten immer grauer — hilft nur Eastside Power.“ So sind sie, die bekannt „frechen“ Sprüche auf bunten Plakaten, wenn DT64- Fans demonstrieren oder eines ihrer Feste zum Erhalt des Jugendradios feiern. Am vergangenen Wochenende gab es auf dem Augustusplatz und in der Leipziger Uni aber auch nachdenkliche und enttäuschte Töne. Denn die Gnadenfrist für das DDR-Jugendradio ist auf zwei Monate geschrumpft, die Abschaltung in Berlin-Brandenburg und den drei MDR-Ländern droht.

Die vom „Netzwerk der Initiativen zum Erhalt von DT64“ organisierte Konferenz hatte sich bewußt zum Ziel gesetzt, nicht nur über den vorrangigen Erhalt von DT64 zu debattieren, sondern auch ein mögliches Konzept für ein nationales Jugendhörfunkprogramm zu entwerfen. Dieser hehre Anspruch zerbrach allerdings schon am Abend des ersten Tages. Bei einer Podiumsdiskussion mit Medienpolitikern, Soziologen und Radiomachern mahnte ausgerechnet die Hörfunkdirektorin des MDR, Karola Sommerey, die Moderatoren, beim eigentlichen Thema zu bleiben: „Die Debatte um ein bundesweites Jugendradio halte ich für Quatsch.“ Frequenzen für die Zeit nach dem Juni hatte sie aber auch nicht anzubieten. Denn deren Vergabe ist Sache der Landesmedienanstalten, und hier sind Präferenzen klar: Private wie etwa RSH sind hier vorneweg. Bleibt die letzte Hoffnung auf leistungsschwache Stadtfrequenzen und ungenutzte militärische Frequenzen.

Als auch noch der Rundfunkratsvorsitzende Dieter Bauernfeind (CDU) in die gleiche Kerbe wie Sommerey schlug, blieb den Moderatoren die Spucke weg, und alle weiteren Versuche, über den Sinn und das Bedürfnis einer spezifischen Jugendwelle für ganz Deutschland zu diskutieren, schienen abgewürgt. Die meisten der 130 Teilnehmer interessierten sich denn auch mehr für die letzte Chance, DT64 über den 30.Juni hinaus zu hören. Die letzte Kampfrunde hat dabei längst begonnen, und die Anzeichen sind nicht günstig. Die potentiellen Abschalter sitzen jetzt in den Landeshauptstädten. Nur über die Ministerpräsidenten und deren mögliche Revision des MDR-Staatsvertrags ist eine Weiterführung noch wahrscheinlich. Carola Sommerey gab sich deshalb vor den versammelten Ost-Kids und den mittlerweile nicht mehr zu übersehenden West-Delegationen kämpferisch: „Der Schlüssel liegt hier beim MDR. Wir müssen erst eine Heimatbasis schaffen.“ Dennoch plädierte sie dafür, daß DT64 seinen Sitz in Berlin zunächst behalten solle. Zur Finanzierung der werbefreien Welle sei der MDR uneingeschränkt bereit. Das plötzliche Interesse an einer Weiterführung sah DT-Chef Schiewack am Rande der Diskussionen pragmatisch: „Frau Sommerey kann ihren Kritikern, denen der MDR zu glatt ist, nun DT64 vorführen — ihr kleines Randaleradio. Das schmückt ganz schön.“

Fernab von den taktischen Winkelzügen bemühten sich die Sympathisanten in Arbeitskreisen am zweiten Tag weiter unverdrossen, das idealtypische Jugendradio zu entwerfen. Auf der abschließenden Pressekonferenz wurde gefordert, daß, wenn das Jugendradio weiterhin sendet, auch Mitspracherechte von Hörergremien in naher Zukunft durchzusetzen seien. Dieses „Radio von unten“-Modell ist aber eigentlich nur ein Fingerzeig dafür, wie weit sich inzwischen Fan-Gemeinde und Jugendradio-Engagierte von der DT64-Redaktion entfernt haben.

Die zunehmende Glorifizierung der Jugendwelle durch ein kleiner werdendes Häuflein von Aufrechten ruft bei den Berliner Redakteuren, die sich „professionalisieren“ und das Programm in Richtung auf mehr Durchhörbarkeit reformieren, gemischte Gefühle hervor. Während Chefredakteur Schiewack für das enorme Engagement der Jugendlichen nicht mehr allein verantwortlich gemacht werden will („Die verarbeiten hier doch noch was ganz anderes“), haben manche Radiomacher, wie die bekannten Moderatoren Marion Brasch und Ralf Bienek, auch ganz einfach Schwierigkeiten, im Glücksfall des Weiterbestehens zum Beispiel nach Leipzig umzuziehen. Das greift ihr DT64-Verständis in den Grundfesten an.

Die Chefredaktion fährt davon unbeirrt auf MDR-Kurs. Es gehe schließlich um Arbeitsplätze. DT64 ist längst kompromißbereiter, als mache glauben wollen. Ulrich Clauß, Vize-DT-Chef und derzeit auf Promotion-Tour durch ostdeutsche Städte: „Der Name, der an das Deutschlandtreffen 1964 erinnert, steht genauso zur Debatte wie Berlin als Standort des Senders.“ Insgesamt enttäuscht vom Treffen in Leipzig waren nur wenige. So die frustrierte Leipziger Organisatorin, die DT64 fehlenden Elan vorwarf: „Erst nach Bitten und Betteln haben sie uns einen Ü-Wagen runtergeschickt. Außerdem reden hier ja wieder nur die Politiker.“ Bernd aber, der an seinem Stand erfolgreich Sympathie- Sticker verkaufte, gab sich ruhig: „Wir bleiben in den nächsten Wochen erst mal cool.“ Ob DT64 weitersendet, steht in den Sternen. Die nächste — geplante — Aktion steht jedoch schon fest: Der sinnige Hippie-Titel: „Kerzen für DT64 — zur Erleuchtung der Politiker“.