Allparteien- Regierung

■ betr.: "Teufel oder Beelzebub in Stuttgart", taz vom 25.4.92, "Schwarz-Grün zunächst zum Teufel", taz vom 28.4.92

betr.: „Teufel oder Beelzebub in Stuttgart“, taz vom 25.4.92, „Schwarz-Grün zunächst zum Teufel“, taz vom 28.4.92

Die nach bisheriger Praxis mit oder ohne Grüne schwierige Regierungsbildung in Baden-Württemberg könnte Anlaß sein, über noch weitergehende Änderungen eben dieser Praxis nachzudenken. Die Bildung einer Koalition und Opposition, verbunden mit verstärkten Fraktionszwängen, die erheblich zur allgemeinen Politikverdrossenheit in der BRD beiträgt, ist in keiner Verfassung vorgeschrieben. Sie ist vielmehr „Gewohnheit“, weil sich's niemand anders vorstellen mochte.

Eine Allparteienregierung aller demokratischen Parteien hätte hingegen viele Vorteile (vgl. die koalitionslose Situation zum Beispiel in baden-württembergischen Gemeinderäten, die schweizerische Bundesregierung oder der Runde Tisch in der ehemaligen DDR). Jede Partei könnte sich in dem Maß einbringen, wie es dem Willen der WählerInnen entspricht. Das müßte sie auch verantwortlich tun, ohne unverbindlich und damit irreführend daherreden zu können. Sie behielte aber ihre Identität, denn nur diese brächte sie ein, und nicht die heutigen Absprachen zwischen mehreren Gruppen, die automatisch eine Abgrenzung zu anderen Gruppen ergibt, die in machen Inhalten sogar näherstünden. Durch je nach Inhalten wechselnde Mehrheiten würden die Diskussionen interessanter. Die wirklichen gesellschaftlichen Auseinandersetzungslinien kämen im Unterschied zum heutigen Lagerdenken eher an ihre wirklichen Stellung — eine Voraussetzung auch für eine sinnvolle Art der zusätzlich angestrebten direkten Demokratie. Wo fortschrittliche Vereinbarungen möglich sind, wären sie zum Teil weniger blockiert als heute, außer bei sehr günstigen Konstellationen.

Sprengt die Denkmöglichkeit schwarz-grüner Zusammenarbeit schon das alte Rechts-Links- Schema, so mag diese Allparteienperspektive noch eine größere Abweichung vom Althergebrachten darstellen; andererseits wäre sie praktisch eher leichter zu verwirklichen, weil eben die eheartige Identifizierung mit einer bestimmten Partnerpartei wegfällt. Gegenüber einer sattsam bekannten „Großen Koalition“ zwischen zwei Wahlverlierern wäre sie auch vorzuziehen. Herman Benz, Sprecher einer Nahverkehrs-Bürgerinitiative und Mitarbeiter der Grünen, Villingen-Schwenningen