Izetbegovics Autorität am Bröckeln

■ Trotz des Befehls des bosnischen Präsidenten, einen Armeekonvoi aus Sarajevo herausfahren zu lassen, wurde das Feuer von muslimanischen Milizen eröffnet/ Kämpfe gehen weiter

Berlin (afp/taz) — Endlich war es am Sonntag abend zu einer Einigung gekommen. Alia Izetbegovic, der von den Soldaten der jugoslawischen Armee am Samstag festgenommene bosnische Präsident, stimmte dem Vorschlag zu, der unter Vermittlung der UNO zustande gekommen war. Demnach sollte er, die Geisel, den Abzug der Offiziere und der Mannschaften aus dem Hauptquartier der Armee, das im Zentrum Sarajevos gelegen ist, sichern helfen. Ein Konvoi aus 20 Lastwagen wurde im Hauptquartier zusammengestellt, im ersten Wagen saß Izetbegovic neben dem Oberkommandierenden der Armee, General Milutin Kukanjac.

Langsam setzte sich der Konvoi mit Ziel auf das neue Quartier außerhalb der Stadt in Bewegung. An der Straße waren bewaffnete Mitglieder der muslimanischen Territorialverteidigung aufgezogen und sahen dem Spektakel zu. Doch schon nach 200 Metern wurde der Konvoi aufgehalten. Ein Fotograf der jugoslawischen Presseagentur 'Tanjug‘ berichtet, was weiter geschah: Der kürzlich übergelaufene ehemalige Armeeangehörige Hovan Divjak trat auf den ersten Wagen zu und verlangte von Izetbegovic wie von General Kukanjak, den Konvoj sofort zu verlassen. Izetbegovic habe geantwortet: „Machen Sie keine Dummheiten. Ich habe es der UNO versprochen. Wenn Ihnen etwas passiert, werde ich zurücktreten. Wir brauchen keine Zerstörung, wir müssen nur Bosnien verteidigen.“ In diesem Moment seien die ersten Schüsse gefallen. Izetbegovic: „Hört auf zu schießen.“ Der Konvoi setzte sich in Bewegung, wurde kurz danach aber wieder gestoppt. Doch nachdem der Präsident außer Sichtweite war, gellten Schüsse auf. Muslimanische Kämpfer trennten die letzten neun Lastwagen des Konvois von den vorausfahrenden Fahrzeugen ab. Sie drangen auf die Fahrer ein und erschossen einige Soldaten. Nach den bisherigen Berichten wurden vier Armeeangehörige getötet und fünfzehn verletzt. Die auf den Lastwagen befindlichen Waffen wurden sofort abtransportiert.

Kurz danach erklärte der Sondergesandte von EG-Vermittler Carrington, Colm Doyle, im Fernsehen, der Konvoi sei angegriffen worden, und es habe Tote und Verletzte gegeben. Auch General Kukanjac konnte am Abend im Fernsehen den Vorfall darstellen. „Es war schrecklich.“ Der Kommandant betonte, die gewaltsamen Übergriffe hätten sich ereignet, nachdem Izetbegovic den Konvoi verlassen hatte. Die Armeeführung in Belgrad beschuldigte Izetbegovic in einer am Montag morgen abgegebenen Erklärung, den Überfall auf den Konvoi veranlaßt zu haben. Dagegen hat Izetbegovic noch keine öffentliche Erklärung abgegeben. Bisher wurde nicht bekannt, ob er seine Rücktrittsdrohung, die er gegenüber den Milizionären gemacht hat, wahr machen wird.

An anderen Orten wurde ebenfalls gekämpft. In Nordbosnien an der Grenze zu Kroatien starben am Sonntag abend mindestens zehn Menschen bei Luftangriffen. Die jugoslawische Luftwaffe nahm nach kroatischen Angaben die Brücke zwischen Bosanski Brod und Slawonski Brod unter Raketenfeuer. Sie wurde schwer beschädigt. In einem Luftschutzkeller seien acht Frauen und zwei Kinder durch eine Bombe getötet worden. Auch Osijek in Ostkroatien und Zadar an der Adria hätten unter schwerem Feuer gelegen. Bei den Kämpfen in Bosnien sind in den vergangenen beiden Monaten mindestens 350 Menschen ums Leben gekommen. er