Shtetl statt Stadl

■ Weit hergeholte Musikanten gaben einen „Bremer Heimatabend“ im Schlachthof

„Shtetl statt Stadl“ — ein griffiges Logo macht klar, wie man die Volksmusik definiert haben möchte beim Heimatfunk von Radio Bremen, zumindest an diesem Abend. Die „Original Moosbacher Glatznbuam aus dem Absahntal“ seien jedenfalls nicht eingeladen, so Holger Janssen vom Heimatsender zu Beginn. Natürlich nicht. Aber man mußte schon ganz schön weit über die Region hinausgreifen, um dem Motto gerecht zu werden: So fanden, neben zwei andern Kapellen, auch die New Yorker „Klezmatics“ ein zweites Mal in den Schlachthof. Bloß warum hat man das Ganze dann „Bremer Heimatabend“ genannt? Das war, bei allem Respekt, im doppelten Sinne weit hergeholt.

Für das verhinderte „Pello- Weiss-Quintett“ sprangen Andreas Lieberg (Gitarre) und Can Tufan (Gesang) ein und wurden dann als einzige dem Anspruch des Abends voll gerecht. Zu klassisch gezupfter Gitarre singt Tufan türkische Lieder, durch seinen zarten, sicheren Tenor kunstvoll überhöht. Nicht jedermanns Sache, sicherlich, aber eindrucksvoll in all ihrer Elegie.

Mit Christof Stählin wurde es danach skurril. Der mit Kleinkunstpreisen überhäufte Tübinger Liedermacher hat sich mit Geschichten am Rande des Absurden der Heimat Deutschland verschrieben, „wo die Kälte von Innen kommt und nicht aus der Türkei“. In trefflicher Poesie bohrte er sich zu Beginn durch die abblätternden Schichten einer Plakatwand, als eine Art Archäologe des Konsumzeitalters und erklärt anschließend, warum es ihn immer wieder nach Wiesbaden zieht: Es sei der Kontrast zwischen den zahllosen Beamten und Pensionären und der Tatsache andererseits, daß die Stadt auf vulkanischen Quellen gebaut ist.

Den „Klezmatics“ schließlich darf man bescheinigen, daß sie ihrem hervorragenden Auftritt vom vergangenen Jahr noch eins draufgesetzt haben. Noch druckvoller präsentierten sie ihre jazzorientierte Klezmer-Wiedergeburt, in atemberaubendem Tempo oft und mit exellenten, verschachtelten Improvisationen von Geige, Klarinette und Trompete. Manchmal fast zuviel des Guten: Dann schienen die Stücke überfrachtet von Virtuosität und solistischer Exzentrik. Dazwischen, von einigen im Saal mit Erstaunen quittiert, für Teile der New Yorker Gemeinde aber derzeit zentrales Thema: Ein Lied über das erwartete Erscheinen des Messias noch in diesem Jahr. Womit sich die so geradlinig angekündigte Suche nach der musikalischen Heimat letztlich doch noch als reichlich irritierend erwies. Rainer Köster