»Es gibt attraktivere Plätze«

■ Viele Pläne und Namen bestimmten die wechselvolle Geschichte des Theodor-Heuss-Platzes

Charlottenburg. »In der Mitte war nie viel los«, erzählt der Florist Hans Aschenbach. »Es gibt in der Nähe attraktivere Plätze.«

Der auf einer der höchsten Erhebungen Berlins gelegene Theodor- Heuss-Platz — früher Reichskanzlerplatz — schaut auf eine wechselvolle Geschichte zurück. Mehrmals wurde er umbenannt, noch öfter umgebaut. Erstmals tauchte der Theodor-Heuss-Platz 1902 als kreisrunder Platz B als Pendant zum Branitzer Platz A in den Bauakten auf. Berlin begann, sich nach Westen auszudehnen. Aufgrund der unglücklichen Verkehrsführung, die Verlängerungen der Bismarckstraße — damals noch Reitweg — und der Kantstraße stießen in spitzem Winkel aufeinander, mußte die ursprüngliche Form einem 10.000 Quadratmeter großen Oval weichen. Der Platz selbst war nur wenig bepflanzt, und die Randbebauung fehlte noch. Die in Richtung Pichelsdorf und Spandau führende Heerstraße verlief buchstäblich im Sande. Einziger Blickfang: Die Eingänge zur U-Bahn, welche 1905 der Entwicklung des Platzes schon vorausgeeilt war.

Das erste Haus an der nordwestlichen Ecke wurde 1906 gebaut und beherbergt seitdem einen Blumenladen, den die Familie Aschenbach 1939 zusammen mit einer Gärtnerei in Döberitz kaufte. In dem 1912 errichteten Gründerstilhaus an der Westseite des Platzes wohnte von 1913 bis 1917 der Komponist Richard Strauss (1864-1949). »Strauss hatte damals den Mietvertrag abgeschlossen, als gerade mal die Grundmauern des Gebäudes standen. Die Höhe der Räume hat er später dann selbst bestimmt«, erzählt Wolfgang Schuster, Lehrer und Bewohner des Hauses. Schusters Wohnung sei wohl zum Teil die Gesindewohnung des Komponisten gewesen. »In der Gegend wohnten damals auch viele Juden. Als sie nach 1939 in unserem Laden nicht mehr kaufen durften, verkaufte meine Mutter die Blumen unter dem Ladentisch«, berichtet Hans Aschenbach. Auch weniger rühmliche Persönlichkeiten lebten am Platz. So zum Beispiel bis 1933 Nazigrößen wie der Propagandaminister Josef Goebbels und unweit am Kaiserdamm Reichsmarschall Hermann Göring.

Am zukünftigen Verkehrsknotenpunkt verdichtete sich der Verkehr zusehends. Nachdem seit 1924 auch noch die Straßenbahn (Zoo-Spandau) den Platz von der Masurenalle im Halbrund Richtung Heerstraße umkreiste, wurde der Platz zum ewigen Verkehrsproblem.

Bis 1928 entstand die Bebauung um den Platz außer an der östlichen Seite. Zum Beispiel das Deutschlandhaus — heute das Rundfunkhaus des Senders Freies Berlin —, das 1926 vom Architekten Heinrich Straumer im Auftrag des Bauunternehmers Heinrich Mendelssohn im Bauhausstil gebaut wurde. Von dort prangte in großen Lettern: »Hier entsteht das Zentrum des neuen Berlin«.

Rechts daneben errichtete er das Amerikahaus, das heute den Naafi- Club beherbergt. 1936 mietete die Deutsche Reichspost die Räume im Deutschlandhaus und nutzte sie seit 1937 für Fernsehzwecke. Als Hitler am Deutschlandhaus vorbeifuhr, urteilte er: »Das sieht ja aus wie das Verwaltungsgebäude einer Seifenfabrik.« 1954 kaufte der SFB das Deutschlandhaus, um seine Fernsehabteilung dort einzurichten.

1933 wurde der Platz in »Adolf- Hitler-Platz« umbenannt; der Namengeber hatte mit dem grünen Oval Großes vor. Als Ausdruck der deutsch-italienischen Freundschaft plante man ein 40 Meter hohes Mussolini-Denkmal inmitten eines Springbrunnens, umrundet von steinernen Bögen. Bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges waren der Sockel für das Denkmal und der Brunnen schon errichtet. Als die ersten Bomben fielen, diente der Brunnen als Wasserspender für Löscharbeiten. Am 8. Mai 1945 wurde der Platz wieder in Reichskanzlerplatz umbenannt.

Nach dem Krieg sollten unzählige Entwürfe den Platz attraktiv gestalten. Die Vorschläge reichten von einer Untertunnelung des Platzes für die bis 1966 fahrende Straßenbahn über zwei Vorschläge von Bürgern — die Aufstellung eines »Blauen Planeten«, einer blauen Stahlkugel, die auf 18 Meter hohen Stahlstreben getragen werden sollte oder einer »Blauen Pyramide« aus Glas — bis zu einer Neugestaltung des Brunnens. Im Laufe der Jahre begann der Brunnen jedoch zu bröckeln. Der Platz galt mittlerweile als »Schandfleck«, so daß 1981 der damalige Charlottenburger Baustadtrat Antes (CDU) beschloß, Brunnen und Fundament unter Protesten der Bürgerinitiative »Forum Deutscher Bildhauer Berlin« zu beseitigen. Manche plädierten sogar für eine große Kreuzung und nahmen damit in Kauf, daß der Theodor- Heuss-Platz gänzlich verschwände.

Am 10. September 1955, dem Tag der Heimat, zum zehnten Jahrestag der Vertreibung der Deutschen aus den ehemaligen Ostgebieten, errichteten die Vertriebenenverbände genau auf der Ost-West-Achse eine ewige Flamme als Mahnmal. Auf dem steinernen Sockel prangt in Richtung Osten die Inschrift: »Freiheit Recht Friede«, auf der Rückseite befand sich eine Bronzeplatte, deren Inschrift beteuerte, daß »diese Flamme brenne, bis die deutsche Einheit, wiederhergestellt und das Recht auf Heimat verwirklicht sei«. In der Nacht des 3. Oktober 1990 klaute jemand die Platte. »Wir einigten uns vor drei Wochen mit dem Bezirk, eine neue Tafel anzubringen zu lassen. Der Text wird dann lauten: »Diese Flamme mahnt: Nie wieder Vertreibung«, berichtet Dieter Hempel, Geschäftsführer des Landesverbandes. Heute liegt der Platz als grüne Oase, bepflanzt mit Blumen und Bäumen im rundum tosenden Verkehr. An der östlichen Seite befinden sich seit 1989 zwei Plastiken: »Großes Berliner Kopfzeichen« und »Großer Verschnürter Kopf« von dem Bildhauer Rainer Kriester. Passanten nutzen den Theodor-Heuss- Platz als Abkürzung von der Bushaltestelle zur U-Bahn-Station.

Auch die Aufschüttungen, die 1984 vorgenommen worden waren und die das Gesamtniveau des Platzes um 1,5 Meter hoben, schützen nicht vor dem Lärm der ununterbrochen um den Platz fahrenden Autos. Als die an der nördlichen Seite gelegenen 70 Parkplätze 1984 beseitigt wurden, trug es nicht zu mehr Attraktivität des grünen Ovals bei. Eher erregte es die Gemüter der anliegenden Ladenbesitzer, die, so Edelsteinfachfrau Brigitte Pohland, bis zu 25 Prozent Gewinneinbußen zu verzeichnen hatten.

»Als wir das Juweliergeschäft 1962 von der Firma Stryck kauften, setzten sich unsere Angestellten noch gelegentlich auf den Platz und sonnten sich.« Und als es noch keine Ampeln gab und die Schupos den Verkehr regelten, brachten ihnen die Ladenbesitzer und selbst einige Autofahrer Geschenke zu Weihnachten, erinnert sich Frau Pohland. Zu Anfang sei auch die Straßenbahn noch gefahren. Nachdem sie stillgelegt worden war, habe man sie aber kaum vermißt, weil sie den ganzen Tag die Anwohner durch ihr Quietschen störte. Susanne Landwehr