Gruppenbild mit Vater

■ Tom Murphys »A Whistle in the Dark« in der Schiller Werkstatt

Michael Carney, einer von fünf irischen Söhnen, hat das Land seiner Eltern verlassen, um sich in England, im Arbeitsviertel von Coventry, eine neue, bürgerliche Existenz aufzubauen. Mit seiner Frau Betty führt er einen kleinen, bescheidenen Haushalt. Doch die Atmosphäre stillen Glücks darf sich nicht etablieren: Die Carney-Brüder haben sich darin eingenistet und verbreiten eine Stimmung krimineller Gewalttäigkeit: sie torpedieren jeden Glauben an einen friedlichen Lebensstil.

Tom Murphy, irischer Dramatiker, Jahrgang 35, verhandelt in A Whistle in the Dark (deutscher Titel: Ein Pfeifen im Wald; 1961) wortreich sein Thema von den Urgründen der Lebenslügen. Die Schauspieler haben auffallend große Schwierigkeiten, die Rigorosität der Figuren zu behaupten und zu verteidigen. Wie sehr sie sich auch auf den Umgangston der Kleinverbrecher-Atmosphäre in Körper und Sprache einlassen, müssen sie doch ein enormes Textkonvolut absondern, das dem Aktivitätsdrang der Figuren arg widerspricht. Dem Faustrecht ist eine Redeschlacht zugesellt, die gnadenloser zuschlägt als jeder Handkantenschlag. — Der Vater kommt zu Besuch und bringt seinen Jüngsten mit, der nun auch bei seinen Brüdern bleiben will. Das Gruppenbild der Familie ist also kurzzeitig komplett (die Mutter darf hier keine Rolle spielen), doch gerade da erweist sich das Zentrum als schwach: Der Vater entblößt sich in seinen lauten, pathetischen Reden als ein Versager, der nur sehen will, was immer ihm hilft, die Fassaden seiner Lebenslügen zu erhalten. Ein Großtöner, dem die Knie zu Butter werden, wenn seine Sprüche Konsequenz verlangen.

Hilmar Thate spielt die Schlüsselrolle schnoddrig, ohne Raum für aufgesetzte Tragik. Gern überläßt er sich den schrägen, kraftmeierischen Tönen. Deutlich ist dabei zu spüren, wie dem Schauspieler, die Maßlosigkeit der Verlogenheit gegen den anarchistischen Sinn geht und das Komödiantische herausfordert.

Der Umgangston in der Runde ist hart, kernig, rauh. Hinter der Fassade ist bei den fünf Söhnen und ihrem Vater stets die Angst vor der Scheinhaftigkeit der eigenen Selbstbehauptung spürbar. Nachdem eine Schlägerei mit einer verfeindeten Gang das Ich-Gefühl gestärkt hat, zerfällt es im Zuge der trunkseligen Nachfeier gleich wieder kläglich. Der Abend endet tragisch: Michael, der Des auf seiner Seite glaubte, erschlägt den Bruder im Affekt.

Christian Berkel spielt den stets zum argumentierenden Überschlag neigenden Sanguiniker Michael, dem kaum zu glauben ist, daß er mit seiner Biederhausfrau je glücklich sein könnte. Simone Schneider gibt als Betty in abscheulicher Gewandung und mit angeklatschtem Haupthaar dem Spießeraffen Zucker.

In der Inszenierung von Peer Martiny, der auch das Stück übersetzt hat, haben alle Figuren einen grob gezeichneten, fast unerträglich deutlichen Zug: Bruder Hugo (Götz Otto) ist der kraftstrotzende Naivling, der meist stumpf dabei sitzt und darauf wartet, daß ihm ein nachvollziehbarer Befehl ans Ohr kommt. Bruder Ignatius (Horst Stenzel), der kleine Gemeine. Des (Tobias Beyer) ist der unreife Bubi, der den Ton noch nicht trifft und beständig auf der falschen Seite steht, und Harry (Sebastian Koch), Zuhälter und Anführer der kriminellen Regung, Draufgänger mit Großschnauz-Allüre, trägt das Schlageisen stets in der Tasche. Ihm glaubt man noch am ehesten die Notwendigkeit, das große Wort schwingen zu müssen.

Auch die Bühne von Vincent Callara spielt grob und kitschig mit dem Elend. Vor den nackten schwarzen Brandmauern der kleinen Werkstattbühne ist eine karge Souterrainwohnung angedeutet. Knallige Rot- und Grüntöne wirken wie ironische Tupfer, aufgeputzte Flecken in der Elendslandschaft — Flecken, die sich in den Kostümen wiederholen dürfen.

Die temporeiche, durchaus nicht langweilige Inszenierung beglaubigt die sich durch Gewalttätigkeit und Lüge zerfetzende (Familien)bande durch grob überpointierte Typisierung. Zu oft gewinnt dabei der Spaß, das Klischee zu treffen, Oberhand und torpediert die Möglichkeit, die schwachen Gründe der Kraftmeierei zum Kern der Analyse werden zu lassen. Ob Das Pfeifen im Wald tatsächlich — wie angepriesen — ein so wichtiges Stück ist, bleibt fragwürdig. Immerhin schwelt der Verdacht, daß es psychologische Tiefen hat, die in der Werkstattbühne nicht zum Vorschein kamen. baal

Weitere Vorstellungen: heute, am 11. und 14. Mai um 19.30 Uhr in der Werkstatt des Schillertheaters