Die zweite „Operation Desert Storm“

Die britischen Waffenhändler sehen im Nahen Osten einen lukrativen Absatzmarkt  ■ Aus London Ralf Sotscheck

Wohin mit den britischen Waffen, nachdem vermutlich auch hartgesottenen Rüstungsexporteuren die Geschäfte mit dem Irak zu riskant sind? Die Untersuchungen darüber, wie umfangreich und einträglich die Waffendeals mit Saddam Hussein waren, sind noch immer nicht abgeschlossen. Erst im vergangenen März stieß der 'Guardian‘ auf interne Dokumente der Firma Sheffield Forgemasters, die beweisen, daß das Rüstungsunternehmen eng mit der italienischen Societá della Fucina und den Schweizer Firmen Uldry und Von Roll bei der Herstellung der „Superkanone“ für den Irak zusammengearbeitet hat.

Noch im Dezember hatte Phillip Wright, Geschäftsführer von Forgemasters, behauptet, er habe noch nie etwas von Uldry gehört. Im Januar wurde dem schottischen Zweigwerk der US-Rüstungsfirma Terex in einem Bericht der 'New York Times' vorgeworfen, sie habe 1987 mobile Scud-Basen an den Irak geliefert — im Auftrag des CIA und mit Billigung der britischen Geheimdienste. Ein Sprecher des Unternehmens, das im Besitz von KCS in Connecticut ist, bestritt die Vorwürfe und sagte, Terex habe nie „Fahrzeuge für militärische Zwecke in den Irak“ verkauft. Vor dem Ausschuß des US- amerikanischen House of Representatives zitierte ein Zeuge den Terex- Manager jedoch folgendermaßen: „Man muß nur den Trick kennen: Man ändert einen Teil der Seriennummer, und schon sieht es wie ein Fahrzeug aus, das im zivilen Bergbau eingesetzt wird.“

Bei diesen beiden Firmen handelt es sich zweifellos um die Spitze eines Eisbergs. Rüstungsfirmen gedeihen besonders gut im dunkeln, und den erfolgreichsten unter ihnen halten ihre Karten auch nach Geschäftsabschluß verdeckt. Den britischen Medien ist es nur in Ausnahmefällen gelungen, diesen Schleier zu durchdringen. 'Index on Censorship‘ sieht dafür drei Gründe: Zum einen sind für die Berichte über die Rüstungsindustrie sogenannte „Verteidigungskorrespondenten“ zuständig, die von ihren guten Kontakten zu militärischen Kreisen leben und diese nicht gerne aufs Spiel setzen, zum anderen legt sich auch die Labour Party nicht mit den einflußreichen Rüstungsfirmen an: die meisten Unternehmen sind nämlich in den Labour-Hochburgen in Nordengland und Schottland angesiedelt, wo man um jeden Arbeitsplatz froh ist.

Dazu kommt ein weiterer nicht unbedeutender Aspekt: Die journalistischen Experten für Verteidigungsfragen sind fast ausschließlich Männer. Die Kampagne gegen Waffenexporte wird in Großbritannien jedoch hauptsächlich von Frauen geführt, die Kommunikation zwischen den beiden Gruppen ist nicht sonderlich eng. Darüber hinaus ist die Rüstungsindustrie durch die gesetzliche Geheimhaltungspflicht geschützt, so daß die Medien auf Insider angewiesen sind, die bereit sind auszupacken. Es liegt in der Natur des Geschäfts, daß solche Leute höchst selten sind.

Mit der „Sicherung von Arbeitsplätzen“ begründete das britische Verteidigungsministerium auch die Geheimhaltung des größten Waffengeschäfts mit Saudi-Arabien 1988: Dabei ging es um 132 Tornados und Hawks im Wert von 5,5 Milliarden Pfund (knapp 16 Milliarden Mark), von denen sich private Händler im Dunstkreis der Regierung einen beträchtlichen Teil als Kommission abgezweigt haben sollen. Die Londoner Regierung befürchtete, daß Saudi-Arabien durch zuviel Offenheit über den Deal von der zweiten Phase des Geschäfts abgeschreckt werden könnte. British Aerospace führt zur Zeit hochsensible Verhandlungen über 48 weitere Tornados und 60 Hawk-Kampfflugzeuge.

Die Londoner „Kampagne gegen den Waffenhandel“, der sich viele namhafte Organisationen angeschlossen haben, forderte von der Regierung die Verweigerung der Exportgenehmigung als „Schritt in Richtung weiterer Aktionen einschließlich eines vollständigen Verbots von Waffenexporten in den Nahen Osten“. Das wird jedoch ein Wunschtraum bleiben. Die britische Rüstungsindustrie bereitet sich auf eine „Operation Wüstensturm“ im ökonomischen Bereich vor. „Wir müssen unsere Produkte an die Kunden bringen“, sagte der Sprecher einer britischen Munitionsfabrik. „Und zur Zeit sitzen diese Kunden im Nahen Osten.“

David Sadler, Inhaber der Firma Aardvark aus Aberdeen mit nur zehn Angestellten, stößt ins gleiche Horn: „Wir verkaufen unsere Minensuchgeräte auch an die britische Armee, aber der Nahe Osten ist im Augenblick der wichtigste Markt.“ In Fachkreisen heißt es, daß dieser Markt 46 Milliarden Pfund (ca. 130 Milliarden Mark) pro Jahr wert ist — und das mindestens bis zum Ende des Jahrhunderts.

Die Exporteure fürchten nur das Waffenregister

Die einzige Gefahr droht durch das „Waffenregister“, das auch von Premierminister John Major unterstützt wird. Danach sind die fünf großen Waffenexporteure — neben Großbritannien sind das die USA, China, die ehemalige Sowjetunion und Frankreich — verpflichtet, sich gegenseitig über Rüstungsgeschäfte zu informieren und Exporte in spannungsreiche Regionen zu vermeiden.

Doch allzu große Sorgen muß man sich in Rüstungskreisen nicht machen. „Staaten haben das Recht auf Selbstverteidigung. Es ist Teil der Regierungspolitik, britische Firmen darin zu unterstützen, diese Bedürfnisse zu befriedigen“, sagte ein Sprecher des Londoner Außenministeriums. Das widerspreche keineswegs John Majors Bekenntnis zum Waffenregister: „Wir wollen lediglich mehr Offenheit, um eine monströse und destabilisierende Aufrüstung wie im Falle des Iraks zu verhindern.“

Nach dem Ende des Kalten Krieges liegt die Zukunft der britischen Rüstungsindustrie im heißen Wüstensand des Nahen Ostens.