: Die Ethno-Packung
■ Mehr als TV-Tourismus: „Cheb — Flucht aus Afrika“, ARD, 23.05 h
Vier sehenswerte Spielfilme gehören zu der Reihe, die die ARD im Rahmen ihrer Medieninitiative „Eine Welt für alle“ zeigt. Einer davon ist Rachid Boucharebs algerisch- französische Koproduktion Cheb aus dem Jahr 1990. Der Film thematisiert die Identitätskrise der sogenannten „Beurs“, in Frankreich aufgewachsener Nordafrikaner, die weder hier noch da zu Hause sind. Für den 19jährigen Merwan (Mourad Bounaas) ist seine algerische Heimat Ausland. Als er sich eine Straßenschlägerei zuviel leistet, wird er jedoch von den französischen Behörden genau dorthin ausgewiesen. Sofort beim Militär rekrutiert, muß er jetzt durch die Wüste marschieren und wird schikaniert. Seinen Vorgesetzten ist es ein Dorn im Auge, daß sich ein Araber einen Dreck dafür interessiert, arabisch zu sprechen. In einem Brief teilt ihm seine ebenfalls arabischstämmige Freundin Malika (Nozha Khouadra) mit, daß ihr von ihrem Vater während einer Algerienreise der französische Paß geraubt wurde und sie seither in Einklang mit den dortigen Sittengesetzen eingesperrt ist. Merwan desertiert und befreit seine Freundin. Während einer gefährlichen Odyssee Richtung marokkanische Grenze wird deutlich, wie sehr die — in unseren Augen — „natürliche“, weil europäische, Verhaltensweise der beiden aus arabischer Perspektive etwas Anstößiges hat.
Gegenüber plakativ-melodramatischen Emotionalisierungen hält der Film jedoch ebenso Distanz wie zum kinotouristischen Blick auf die berüchtigten „schönen Bilder“. Die eindrucksvoll fotografierte Landschaft gerät nie zum Schauwert, weil sie im krassen Gegensatz zu den ganz und gar nicht schönen Erfahrung der beiden Flüchtenden steht, die am malerischen Panorama von Bergen und Wüste wenig Gefallen finden. Sie wollen einfach nur raus aus diesem Land. Ohne auf plumpe Versöhnung zu schielen, gelingt es dem Regisseur dennoch, durch beständig wechselnde Perspektiven Verständnis für Aspekte der arabischen Kultur zu erwecken. Was zugleich ein gemeinsamer Zug der drei Folgefilme dieser Reihe ist.
Als deutsche Erstaufführung ist am 13.5. Der Fahrradfahrer von Mohssen Makhmalbafs zu sehen. Daß der Begriff „iranisches Filmwunder“ keine übertriebene Begriffshülse ist, davon kann man sich hier überzeugen. Mit einer eindrucksvollen Palette von Zwischentönen erzählt Regisseur Atif Yilmaz in Die zweite Frau (deutsche Erstaufführung am 20.5.) von der sanften Subversion des türkischen Patriarchentums.
Die Katastrophe, eine weitere deutsche Erstaufführung von Jahnu Barua aus dem Jahr 1987, mit der die Reihe am 27.5. schließt, ist ein mit den Mitteln der Farce aufgelockertes Melodram über Korruption und Beamtenfilz in Assam. Manfred Riepe
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