Unruhen ändern Wahlkampfstrategie

US-Präsidentschaftsbewerber Clinton und Bush auf der Suche nach schmerzlosen Lösungen nach der Revolte von Los Angeles/ Demokraten und Republikaner schielen auf die Wünsche der Mehrheit  ■ Aus Washington M. Sprengel

Mit der Krise im Persischen Golf vergleichen Mitarbeiter im Weißen Haus die jüngsten Unruhen in Los Angeles. Und in der Tat reagierte Präsident George Bush auf diese bisher größte innenpolitische Herausforderung seiner vierjährigen Amtszeit ganz ähnlich wie auf den Einmarsch der Irakis in Kuwait. Innerhalb weniger Stunden entsandte er nach Konsultationen mit seinen engsten — auch militärischen — Ratgebern Marines und Infantristen an die Westküste. Jetzt, wo Tausende von Polizisten, Nationalgardisten und Soldaten rund um die Uhr auf den Straßen von Los Angeles patroullieren und wieder Ruhe eingekehrt ist, steht der Präsident aber ebenso ratlos da wie nach der Kapitulation von Husseins Truppen. Zwar versprach Bush in seiner Fernsehrede an die Nation, wenn wieder Frieden in Los Angeles herrsche, wolle man sich den tieferen Ursachen für die „tragischen Ereignisse“ zuwenden und dann an einem „Klima des Verstehens und der Toleranz“ arbeiten. Wie genau er das herstellen will, hat er bis zur Stunde allerdings noch nicht ausgeführt.

Bush, der im November zum zweiten Mal ins Weiße Haus gewählt werden will, muß seine nächsten Schritte sorgfältig abwägen. Es gilt die Stimmung im Lande abzuschätzen und dann solche Lösungen anzukündigen, die am wenigsten Wählerstimmen kosten oder im besten Fall sogar noch zusätzliche gewinnen. Eine beherzte Antwort auf die vielfältigen Probleme der amerikanischen Großstädte — Drogen, Kriminalität, Armut und Wohnungsnot sind nur einige — könnte den Republikanern möglicherweise die Unterstützung von schwarzen Wählern wiederbringen, die sich in den 50er und 60er Jahren den in der Bürgerrechtsbewegung führenden Demokraten zugewandt haben. Ton und Gewichtung in Bushs Rede deuteten allerdings bereits an, daß er an der traditionellen Linie seiner Partei festhalten wird. Die Unruhen in Los Angeles klassifizierte er als „Brutalität des Mob“. Mit Protest, Gleichberechtigung oder Bürgerrechten habe das nichts zu tun gehabt. Für „Mord, Brandstiftung, Diebstahl und Vandalismus, der gesetzestreue Bürger terrorisiert“ habe, gebe es keine Entschuldigung.

Wer — wie Bush — die Augen vor den sozialen und wirtschaftlichen Ursachen der Ausschreitungen verschließt, hat auch keinen Grund, über Maßnahmen nachzudenken, die an der Wurzel des Problems ansetzen. In der konservativen Logik muß der Staat nur energisch gegen die Randalierer durchgreifen. Rechtsaußen Pat Buchanan, der unverdrossen um republikanische Wähler kämpft, erinnerte seinen Konkurrenten Bush daran. Buchanan schimpfte sogar, der Präsident sei nicht hart genug gegen „die Orgie von Plünderungen, Brandstiftung und Lynchen“ vorgegangen. Was auch immer an Gewalt nötig sei, um „unschuldige Menschen und Privatbesitz“ zu schützen, müsse die Regierung einsetzen.

Demokraten wollen nicht „soft“ erscheinen

Im Wahlkampf 1988 konnte Bush seinen demokratischen Konkurrenten Michael Dukakis den Wählern erfolgreich als „soft gegenüber Kriminellen“ verkaufen. Bill Clinton, der die Nominierung der Demokraten so gut wie in der Tasche hat, setzt seit Beginn des Wahlkampfs alles daran, diesem Image zu entrinnen. Er ist einer der wenigen Demokraten, die für die Todesstrafe eintreten. Und damit das keinem Wähler — 80 Prozent der Amerikaner sind für die Todesstrafe — entgeht, wohnte er kürzlich der Exekution eines Mörders in seinem Heimatstaat Arkansas bei.

Clintons Reaktion auf die Plünderungen und Morde in Los Angeles war deshalb entsprechend vorsichtig und vor allem ausgewogen. Bushs Entscheidung, Bundestruppen in die Millionstadt zu entsenden, lobte er, die Ausschreitungen verurteilte er. Gleichzeitig zeigte er aber Verständnis für Wut und Frustration der Menschen in South Central.

Nur zu gerne würde Clinton das brennende Los Angeles im Wahlkampf nutzen. Als Südstaatler, der seit dem Beginn seiner Kampagne Einigkeit von Weißen und Schwarzen gepredigt hat, könnte er sich als versöhnende Figur verkaufen. Ob die aber überhaupt gefragt ist, haben die Meinungsforschungsinstitute noch nicht rausgefunden. Die eindrucksvollen Fernsehbilder von randalierenden und plündernden Schwarzen könnten auch jegliche Sympathie für die „schwarze Sache“ bei der weißen Mittelschicht im Keim erstickt haben. Genau das bewirkten die blutigen Rassenunruhen in den 60er Jahren und verhalfen Richard Nixon 1968 indirekt zur Präsidentschaft. Clinton muß deshalb sehr vorsichtig sein, wie er seine Botschaft formuliert.

George Bush und seinem Vorgänger Ronald Reagan den Schwarzen Peter für die Misere zuzuschieben, sie für ihre die Reichen begünstigende Wirtschaftspolitik verantwortlich zu machen, ist wahltaktisch weitgehendst ohne Risiko. Ein Eintreten für umfassende und vor allem kostenintensive Sozialprogramme zugunsten der schwarzen Ghettobevölkerung könnte ihn aber in diesen wirtschaftlich schweren Zeiten teuer zu stehen kommen. Zahlreiche Arbeiter, die traditionell demokratisch gewählt hatten, liefen in den 80er Jahren ins republikanische Lager über, weil die Demokraten in ihren Augen eine Partei für Schwarze, Schwule und Feministen geworden waren. Sie hatten die Nase voll, mit ihren Steuergeldern — wie sie es sahen — den Müßiggang von schwarzen Sozialfürsorgeempfängern zu finanzieren.

Clinton beschwört gemeinsame Werte

Dieses Bild der Demokraten will Billk Clinton korrigieren. In einer Rede vor Parteifunktionären deutete er am vergangenen Samstag eine neue Richtung an. Nicht allein wirtschaftliche Probleme seien die Wurzel der gegenwärtigen Rassenkonflikte, sondern auch der Verlust gemeinsamer Werte habe dazu beigetragen.

Clinton gibt damit nur die Argumentation seines Gurus William Wilson wieder, eines Soziologen, der für die städtische Armut unter anderem den Zusammenbruch der traditionellen Familie verantwortlich macht. Eine Theorie, die schon seit Jahren zur Standardrede jedes Republikaners gehört. Wie Familien allerdings zusammenhalten sollen, wenn Mutter und Vater ohne Arbeit sind und um sie herum alles zusammenbricht, haben bisher weder die Republikaner noch Gouverneur Clinton erklären können.