Wien: Gerichtsgutachter bestätigt den Holocaust

Wien (dpa) — Der Gutachter hatte in fünf Jahren nahezu 3.000 Arbeitsstunden in das Projekt investiert, hatte 7.000 Zeugenaussagen, 1.300 Bücher und 200 Zeitungsartikel durchforstet. Dann kam er zu dem Ergebnis, das weder für WissenschaftlerInnen noch für die Öffentlichkeit überraschend war: „Es gibt keinerlei Zweifel an der Massenvergasung von Juden durch Zyklon B.“

Gerhard Jagschitz, Professor für Neuere Zeitgeschichte, war vom Wiener Landesgericht beauftragt worden, den sogenannten „Revisionisten“, die hartnäckig die systematische Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten anzweifeln, die exakt recherchierte historische Wahrheit gegenüberzustellen. Jagschitz drang bis in das Moskauer Sonderarchiv vor, in dem deutsche Dokumente über den Holocaust aufbewahrt werden.

Anlaß für die beispiellose Expertise ist der Prozeß gegen den österreichischen Rechtsextremisten Gerd Honsik (50), der mit seinem Kampfblatt 'Halt‘ und dem Buch Freispruch für Hitler? versucht hat, die Nazis reinzuwaschen. Wegen dieses Buches hatte Honsik bereits in Deutschland vor Gericht gestanden. In Wien wird ihm „Wiederbetätigung im Sinne des Nationalsozialismus“ vorgeworfen. Die Entscheidung des Gerichts war nicht unumstritten. „Die fünf Jahre, die das Gutachten gebraucht hat, waren eine zeitliche Spielwiese für die Neonazis“, klagte der in Wien lebende Nazi-Verfolger Simon Wiesenthal. „Man muß nicht in der ganzen Welt herumfahren, um festzustellen, daß es in Auschwitz Gaskammern gegeben hat.“

Als Jagschitz in der letzten Woche vor Gericht referierte, begingen Juden in aller Welt den Gedenktag an die Millionen Opfer des Holocaust. Im Gerichtssaal aber, wo sich wie üblich etliche Gesinnungsgenossen des Angeklagten versammelt hatten, schlugen dem Gutachter Hohn und Haß entgegen.

Wenig beeindruckt von der vorgelegten Dokumentenfülle zeigte sich auch der Angeklagte. Sein Verteidiger Herbert Schaller verlangte neue Gutachten, etwa über die Wirkungen des Tötungsgases Zyklon B, über die Kapazität von Krematorien, über die Echtheit eines Dokuments, in dem die tägliche Verbrennungskapazität in Auschwitz mit 4.756 Leichen angegeben wurde. Das Urteil gegen Honsik wird in den nächsten Tagen erwartet.