Sarajevo steht in Flammen

■ Bosnische Streitkräfte fordern jugoslawische Armee ultimativ auf, Sarajevo zu verlassen/ Hunderte von Toten/ EG erwägt Rückzug/ Jugoslawisches Staatspräsidium will Armee fallenlassen

Sarajevo (afp/dpa/taz) — „Der unabhängige Staat Bosnien-Herzegowina bot am Morgen des 5. Mai folgendes Bild: Eine große Menge Toter lag auf den Straßen, einer großen Zahl Verletzter konnte nicht einmal Erste Hilfe geleistet werden.“ Dies berichtete gestern Radio Sarajevo. Die wunderschöne historische Altstadt Sarajevos stand in Flammen. Die Feuerwehren konnten angesichts der ständigen Angriffe nur wenig ausrichten. Nach dem Überfall muslimanischer Milizen auf einen Militärkonvoi am Sonntag abend hatte die jugoslawische Armee mit Artillerieattacken zurückgeschlagen. Die bosnischen Streitkräfte forderten gestern nachmittag die jugoslawische Armee ultimativ auf, bis 24 Uhr aus der Stadt abzuziehen. Sie sicherten freies Geleit zu, wenn dieser Termin eingehalten würde.

Keine der in Bosnien beteiligten Bürgerkriegsparteien sei bereit, den Frieden anzustreben. So jedenfalls fiel das resignierende Fazit des EG- Ratsvorsitzenden Joao de Deus Pinheiro über die Ereignisse der letzten Tage aus. „Alle, Serben, Moslems und Kroaten, haben Taten begangen, die zur Verschärfung der Gewalt beigetragen haben.“ Man könne die Schuld nicht nur den serbischen Streitkräften oder dem sogenannten Bundesheer geben.

Doch die Konsequenzen, die gezogen werden, sind hilflos. Angesichts dieser Situation müsse sich die EG fragen, ob es richtig sei, „weitere Opfer zu bringen“, erklärte der EG- Ratsvorsitzende. Es gebe nur zwei Möglichkeiten vorzugehen. Entweder versuche man weiterhin zu vermitteln oder sehe zu, wie sich die verfeindeten Parteien gegenseitig umbringen.

Da letztere Möglichkeit ausscheidet, wird die EG also weiter versuchen, die Parteien an einen Tisch zu bringen. Doch auffällig ist, daß die EG, aber auch die UNO, mit einer großen Partei in diesem Bürgerkrieg noch gar nicht verhandelt hat. Der Partei des Friedens nämlich, den Hunderttausenden von Menschen, die sich nicht in eine ethnische Linie pressen lassen wollen, diejenigen Bürger also, die weiterhin für friedliches Zusammenleben aller eintreten. Dabei haben Zehntausende Bewohner der Stadt Sarajevo ihren Wunsch nach Toleranz kurz vor Ausbruch des Krieges demonstriert. Auch in Banja Luka, in Bihac, in Mostar waren damals Ende März/Anfang April viele Bürger auf die Straße gegangen. Da aber die Verhandlungen nur die Bürgerkriegsparteien einschließen, verhelfen UNO und EG damit der furchtbaren Forderung nach ethnischer Homogenisierung auch noch eine gewisse Legitimität.

Andere Kritiker fordern das massive Eingreifen der UNO. Der Auftrag der UNO-Truppe müsse geändert werden, mit großem militärischem Aufwand müßten die Bürgerkriegsparteien in die Knie gezwungen werden. Doch der Preis einer solchen Strategie wäre ebenfalls fürchterlich. Schon jetzt geht ja die Zahl der Todesopfer in die Tausende, über 400.000 Menschen mußten fliehen. Es bleibt fraglich, ob mit Gewalt die Gewalt beantwortet werden kann.

Bleiben also nur die politischen Mittel. Aber auch auf diesem Feld wird nicht gerade einfallsreich vorgegangen. Die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa will schärfere Sanktionen gegen Restjugoslawien einleiten. Belgrad soll aus der KSZE, wenigstens zeitweise, ausgeschlossen werden. Ein Ölembargo soll auf Betreiben Österreichs und Deutschlands beantragt werden. Es ist aber fraglich, ob diese Maßnahmen Eindruck machen können.

Immerhin scheinen die Ereignisse in Bosnien zu einem Schwenk in der Politik Restjugoslawiens beigetragen zu haben. Das jugoslawische Staatspräsidium hat das Oberkommando über die Einheiten der Bundesarmee in Bosnien-Herzegowina abgegeben. In einer Erklärung werden die drei Volksgruppen der Republik aufgefordert, die Verantwortung für die Truppen in Bosnien selbst zu übernehmen. Die Soldaten aus Serbien und Montenegro, die in Bosnien stationiert sind, sollen zurückkehren. Sie machen allerdings nur 6 Prozent der Soldaten aus. Vorausgegangen war eine Demonstration von Eltern, die für die Rückkehr der serbischen Soldaten eintraten.