Sparkurs beendet spanische Fiesta

Mit einem Konvergenzprogramm will die spanische Regierung die Maastricht-Hürden nehmen  ■ Aus Madrid Antje Bauer

Unruhige Zeiten stehen den Spaniern ins Haus: Im Laufe dieses Sommers wollen die großen Gewerkschaften einen mindestens halbtägigen Generalstreik und zahlreiche Demonstrationen durchführen. Im Herbst soll noch ein ganztägiger Generalstreik draufgesetzt werden. Auslöser für die neue Protestwelle ist ein Beschluß des sozialistischen Wirtschaftsministers Carlos Solchaga, demzufolge seit Anfang April Arbeitslose nur noch ein Anrecht auf Arbeitslosengeld haben, wenn sie zuvor mindestens ein Jahr lang beschäftigt waren. Zuvor galten sechs Monate als Mindestzeit. Pro gearbeitetes Jahr erhalten Erwerbslose nur noch vier statt bisher sechs Monate lang staatliche Zuweisungen. Was nur eine Angleichung an westeuropäische Gepflogenheiten zu sein scheint, ist ein harter Schlag gegen jene Beschäftigten, die nur zeitlich befristete Arbeitsverträge bekommen und danach erneut auf der Straße sitzen. Vor wenigen Jahren hatte die sozialistische Regierung die Einstellung von Beschäftigten mit Zeitverträgen erheblich erleichtert.

Der Einschnitt in die Arbeitslosenkasse ist nur einer der geplanten Eingriffe, die Spanien den Zutritt zur europäischen Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) gewähren sollen. Von den vier Kriterien, die die Anwärter auf eine WWU-Mitgliedschaft erfüllen müssen, kann Spanien derzeit nur eines aufbieten: Die öffentliche Verschuldung macht 45 Prozent des Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus und liegt damit unter den auf dem Maastrichter Gipfel beschlossenen 60 Prozent. Ansonsten sieht es jedoch für Spaniens Mitgliedschaft duster aus: Den WWU- Verträgen zufolge darf die Inflation eines Landes nicht höher als 1,5 Prozent über der durchschnittlichen Rate jener drei EG-Staaten liegen, die die geringste Teuerungsrate aufweisen. Dieser Wert liegt derzeit bei 2,7 Prozent, die spanische Inflation betrug jedoch im vergangenen Jahr offiziell 5,5 Prozent. Der Versuch der letzten Jahre, mit einer Hochzinspolitik die Inflation zu drosseln, schlug fehl: Viele Kleinunternehmen mußten wegen der hohen Zinsen auf notwendige Investitionen zur Modernisierung verzichten. Gleichzeitig floß eine Unmenge Spekulationskapital ins Land, das keinen Reichtum schaffte, aber die Preise in die Höhe trieb. Die Zinsen liegen heute noch drei bis vier Prozent über dem deutschen Niveau. Auch das Haushaltsdefizit, das im vergangenen Jahr bei 4,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts lag, müßte bis 1996 unter drei Prozent gedrückt werden.

Spanien rangiert wirtschaftlich nach wie vor im hinteren Teil der EG-Rangliste. Mit einer Arbeitslosigkeit von 15 Prozent weist es eine der höchsten Raten innerhalb der EG auf. Seit Jahren findet ein massiver Prozeß der Desindustrialisierung statt, den die Regierung euphemistisch „Rekonversion“ nennt. Betroffen ist vor allem die Kohle- und Stahlindustrie im Norden des Landes, die gerade wieder durch eine bevorstehende neue Entlassungswelle erschüttert wird. Die kleinflächig aufgeteilte Landwirtschaft befindet sich seit längerem wegen ihrer mangelnden Effizient und der EG-Agrarquoten in der Krise. Industrielle und handwerkliche Familienbetriebe, in Spanien traditionell in der Mehrzahl, müssen angesichts der einfallenden ausländischen Großunternehmen zunehmend das Handtuch werfen. Allein im Jahr 1990 gaben 70.000 heimische Unternehmer ihre Firma auf. Die einheimischen Produkte können häufig nicht mit ausländischen Erzeugnissen konkurrieren, da die Produktivität vieler Unternehmen eklatant niedrig ist. Selbst der Tourismus, über Jahrzehnte ein sicherer Trumpf in der spanischen Bilanz, erwirtschaftet seit einigen Jahren weniger Gewinne, da sich die kapitalkräftigen Touristen nicht mehr mit dem spanischen Grundrezept „Sonne und Strand“ zufriedengeben und die spanischen Tourismusunternehmen bislang nicht flexibel genug waren, auf die gestiegenen Ansprüche mit neuen Angeboten zu reagieren. Hinzu kommen massive Infrastrukturprobleme im Verkehrsbereich: Während zwischen den Hauptachsen des Landes teure Hochgeschwindigkeitszüge gebaut werden, sind viele ländliche Gebiete nur schwer zu erreichen.

Noch immer liegt Spanien in puncto Wirtschaftswachstum — 1991 waren es 2,5 Prozent — an der Spitze der EG. Doch die Zeiten des Wirtschaftsbooms sind vorbei. In der Debatte zur Lage der Nation mußte Premierminister Felipe Gonzalez vor einigen Wochen denn auch eingestehen, daß es der Regierung nicht gelungen ist, die Arbeitslosenzahl nennenswert zu drücken, und daß auch die künftigen rigiden Sparmaßnahmen wenig ändern werden. Mit einem Konvergenzplan will die Regierung die Maastrichter Verträge erfüllen. In einer Art vorauseilenden Gehorsams kündigte Wirtschaftsminister Carlos Solchaga an, nicht nur das Haushaltsdefizit auf ganze 0,8 Prozent zu senken, sondern auch die öffentliche Verschuldung bis 1996 auf 43,3 Prozent des BIP zu reduzieren. Darüber hinaus soll bis 1996 das erreicht werden, was in zehn Jahren sozialistischer Regierung nicht gelang— die Inflation von derzeit 5,5 Prozent auf 3 zu drücken.

Die angepeilten Mittel zur wundersamen Sanierung der spanischen Wirtschaft umfassen auch weitere Kosteneinsparungen im sozialen Bereich. Neben dem Einfrieren der Subventionen für Staatsbetriebe soll damit die Neuverschuldung auf ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden. Ein von der Regierung angeforderter Expertenbericht zur Neugestaltung der Gesundheitsfürsorge, der im vergangenen Jahr heftige öffentliche Proteste auslöste, gibt die Richtung an: Danach sollen die Patienten zunehmend zur Zahlung von Medikamenten zur Kasse gebeten werden, eine ganze Reihe von Gesundheitsmaßnahmen selbst bezahlen. Schon jetzt bezieht die staatliche Krankenkasse, in der jeder Arbeitnehmer Zwangsmitglied ist, die Zahnversorgung nicht mit ein — weshalb an den Zähnen der Menschen ihre gesellschaftliche Klassenzugehörigkeit abzulesen ist.

Die Pläne der Regierung haben selbst innerhalb der Regierungspartei PSOE Kritik und ein Dialogangebot an die Gewerkschaften ausgelöst. Die konservative „Volkspartei“ (PP) bemängelte, die Regierung habe in den vergangenen Jahren mit denselben Mechanismen der Wirtschaft nicht zum Aufschwung verhelfen können, konnte aber selbst keine Gegenvorschläge machen. Die Gewerkschaften geben sich stark, aber gesprächsbereit: Die Rücknahme des Generalstreiks hänge ganz von der Regierung ab, so der Generalsekretär der sozialistischen Gewerkschaft UGT.