3 Dichter und 1 Henker

■ Ein deutsch-deutsches Gespräch über Dichtung im Literaturhaus Berlin

Ein Bleistift, kein Kugelschreiber wäre vonnöten gewesen, um das deutsch-deutsche Gespräch über Dichtung ins rechte Licht zu rücken. Thomas Wohlfahrt von der Pankower »Literaturwerkstatt« — am Dienstag zu Gast im Berliner »Literaturhaus« — hielt ungefragt eine Festrede auf seine zu DDR-Zeiten heftig umstrittene Kaderschmiede, so daß die drei jungen Dichterfürsten zu seiner Rechten mit Händen, Köpfen, Füßen nicht ein noch aus wußten. Das Äquivalent einer flüchtigen Bleistiftzeichnung:

Rechts außen der 30jährige Durs Grünbein, den rechten Ellenbogen fest und unbeweglich auf den Tisch gestützt, Hand unterm Kinn, finstere Brillenmiene. Eckdaten: bekannt durch Grauzone morgens, Schädelbasislektion (Suhrkamp), demnächst New-York-Stipendiat des Deutschen Literaturfonds. Sozialisation: Dresden und Berlin, Polykünstler. Zu seiner Linken Marcel Beyer, Jahrgang 1965, Gesicht in beiden Händen, Popperfrisur, Kölner. Schreibt experimentelle Texte, sein letzter großer unter dem Titel Menschenfleisch. Meistens will er schöne Mädchen kennenlernen. In einem halben Jahr Stipendiat des LCB (Literaturclub Berlin). Zu seiner Linken wiederum sitzt Johannes Jansen, mit 26 Jahren der jüngste im Bunde. Hält seine Zigarette wie eine Waffe im Anschlag vors Gesicht. Großgeworden in der Ex-DDR und in Prenzlauer Berg. Heute viele Reisen. Arbeitet auch als Grafiker und Maler. Veröffentlichte bei Suhrkamp unter anderem den Reißwolf.

Gemeinsamkeiten: viele. Unterschiede: offensichtlich. Das Eigentliche, die Dichtung, kommt ungefähr nach dem zehnten Malversuch mit Kugelschreiber zu Wort: Wenn Johannes Jansen liest, klingen die Verse lange nach. »Echsen, die Ruinen infizieren«, »Blähungen im Weltbild«, »fehlendes Glied in der Wirbelsäule«. Im Nachhall werden seine Bilder banal. Eingebunden in den Text, sind sie noch wohleingepaßt, nach Maßgabe montiert. Ein kluges, ein wohldosiertes Vorgehen. Ein Medikament, das erst am hinteren Ende des Gaumens üblen Geschmack entfaltet. Von selbstgenügsamem Betrug, der beständigen Mittelmäßigkeit der Szene am Prenzelberg, den versehrten Leitbildern redet Jansen in einfachen Worten. Einfach und unnachgiebig wie im folgenden Satz: »Du bist in Ordnung. Wie der Landstrich, den ich mit deiner Vernichtung betraut hab'.«

Wenn Marcel Beyer liest, bleibt kaum Erinnerung an die Verse, obwohl sie kunstvoll getürmt, mit Unter- und Obertonreihen ausgestattet sind. Beyer rezitiert brillant — beschleunigt, dialektelt, übertreibt. Liebhaber-Sermon-Liebhaber ist ein quasselseliges, ein amüsantes Traktat: Natürlich geht es um das große Scheitern eines schlechten Liebhabers. Und ums Scheitern der Dichtung als »Kommunikationsweise« ohnehin. Beyers letztes Gedicht, in Anlehnung an die Floskeln eines Hals-Nasen-Ohrenarztes, kostet die Situation mit notorischem »Wiieder freii aatmen / etc. pp.« erschöpfend aus.

Wenn Durs Grünbein liest, tastet das Gedächtnis die Verse wie gestanzte Perforationen ab. Grünbein liest diverse Nachrufe und Totenmeldungen. Berichtet vom fahrlässigen Betreiben eines Föns, den Enkeln des Parteibonzen in fester Zuversicht, dem Jagdhund, der seine Herrn aus Dresden mit der Schrotflinte, versehentlich, erschoß. Seine Texte sind markiert wie Blindenschrift, Konstellationen in Vierer- oder Dreierreihen, versehen mit gezielten Aussparungen, die Bedeutungen offenhalten, von Zeit zu Zeit.

Und ganz, als könne eine schöne Lesung nicht das letzte Wort behalten, schwingt sich Thomas Wohlfahrt auf, mit den Dichtern im Anschluß ein Gespräch zu führen. Was bald zu einem sorglosen Schwätzchen gerät, weil alle ja ach so jung und wohlgemut sind und das ja ach so getrost sein dürfen.

Grünbein hat Lust am Banalen, setzt es gleich mit dem Symbol. Alle haben Lust an Wien, weil die Schriftsteller dort nicht gleich politische Repräsentanten sein müssen, die Stadt so verschroben, unregelmäßig, und geschichtsträchtig ist. Beyer hat Lust an der Form und Grünbein am sensualistischen Konzept und Jansen an der Landschaft, der geistigen, der immerwährenden, was es auch sei. Mirjam Schaub