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Sag ihnen, du bist aus Indien

Sally Morgans Roman über Australiens Aborigines  ■ Von Karin Flothmann

Mit fünfzehn Jahren wurde mir zum ersten Mal Omas Hautfarbe bewußt. Sie war nicht weiß. Nun, dachte ich logisch, wenn sie nicht weiß war, waren wir es auch nicht. Was waren wir dann? Was war ich denn dann? Ich hatte nie zuvor gedacht, daß ich eine Schwarze sein könnte.“

Was paradox klingt, kennzeichnet das Leben der Australierin Sally und vieler ihrer „schwarzen“ ZeitgenossInnen mit hellerer Haut. Als Schulfreundinnen Sally auf ihr fremdes Aussehen ansprechen, fragt sie zu Hause nach. Ihre Mutter rät ihr: „Sag ihnen, du bist aus Indien.“ Und damit gibt Sally sich zufrieden.

Mit ihrem Buch Ich hörte den Vogel rufen erzählt Sally Morgan ihre eigene Geschichte, und damit auch die andere Geschichte Australiens, die der Aborigines. Das heutige Australien ist ein Land der Weißen. Die „weiße“ Geschichtsschreibung dieses Landes beginnt mit der britischen Eroberung im Jahr 1788: Australien, ein Kontinent, der den Briten als Strafgefangenenlager diente. Unterschlagen werden dabei sechzigtausend Jahre, in denen die dortige Bevölkerung in enger mythologischer Beziehung zu ihrem Land lebte. Mit der britischen Eroberung Australiens begann für die etwa fünfhundert verschiedenen Aborigine-Völker die Zeit der Entrechtung und Versklavung, der Massaker und eingeschleppten Krankheiten.

Mitte des 19. Jahrhunderts begann dann die bewußte Politik der Segregation, sprich: der Rassentrennung und der Zwangsassimilation. Die Aborigines wurden in staatliche Reservate und kirchliche Missionsstationen umgesiedelt. So gehörte es bis weit in die 60er Jahre hinein zur Politik Australiens, „Mischlingskinder“, deren Mütter Aborigines waren, „unter die Obhut des Staates“ zu stellen — in staatliche Einrichtungen, häufig auch in Missionsstationen. Allein im Bundesland Neusüdwales wurden so bis 1969 mindestens 5.625 Kinder von ihren Familien getrennt. Aborigines nennen diese Jahre die „Zeit der gestohlenen Generationen“.

Auch die Vorfahren Sally Morgans gehören zu dieser Generation. In dokumentarischen Einschüben läßt sie in ihrem Buch die noch lebende Verwandtschaft zu Wort kommen. Und selbst die störrische Großmutter, die sich immer für ihre schwarze Hautfarbe schämte, verweist am Ende ihres Lebens mit Stolz darauf, Aborigine zu sein. Denn das Bewußtsein in Australien beginnt sich zu wandeln. Zumindest unter den Aborigines.

In der Gesamtbevölkerung Australiens ist diese Ethnie bis heute die am meisten diskriminierte Bevölkerungsgruppe des Landes. Aborigines werden bis zu 29mal häufiger verhaftet als die übrigen Australier, und zwar größtenteils aufgrund geringfügiger Delikte wie Trunkenheit oder dem Gebrauch „ungebührlicher Sprache“ wie Flüchen. Während die offiziellen Stellen die aufsehenerregend hohe Zahl von Todesfällen von inhaftierten Aborigines auf Selbstmord und natürliche Todesursachen zurückführen, sprechen die Hinterbliebenen von Folter und Mord.

Diese Seite Australiens wird gerne verschwiegen. Reiseunternehmen verweisen auf die außerordentliche Fauna und Flora des fünften Kontinents. Im allgemeinen zeichnen sich australische Reisekataloge insbesondere durch faszinierende Landschaftsaufnahmen aus. Doch auch der „Eingeborene“ darf nicht fehlen. Und so findet sich im aktuellen Prospekt der „Jetstream-Reisen“ auch folgende Ankündigung eines Tagesausflugs: „Auf der Insel Melville lebt das Volk der Tiwi, ein Stamm der Aborigines. In diesem Refugium leben sie noch heute wie ihre Vorväter, kaum beeinflußt von der modernen Zivilisation. Sie haben Gelegenheit zu sehen und mitzuerleben, wie sie wohnen, wie sie ihre Nahrung beschaffen etc.“ Tiere und Aborigines scheinen auch in moderner „Jetstream“-Atmosphäre noch auf einer Stufe zu stehen.

So platt und offensichtlich kommen Diskriminierungen anderer Ethnien nicht immer daher. Gerade durch ihre unspektakuläre Erzählweise gelingt es Sally Morgan, das Augenmerk der LeserIn auf die eher versteckten, alltäglichen Rassismen zu lenken. Ich hörte den Vogel rufen ist das erste Buch einer Aborigine- Autorin, das bisher ins Deutsche übersetzt wurde. Auch in der Literatur waren es in erster Linie Weiße, die uns bisher über das Leben der Aborigines berichteten. So sind beispielsweise die Romane Bahumir Wongars recht bekannt geworden, die mit den geheimnisvollen und mythologischen Elementen der Aborigine-Kultur spielen. Die Romane sind interessant und lesenswert, doch den LeserInnen wird verschwiegen, daß es sich bei „Bahumir Wongar“ nicht um einen Aborigine handelt, sondern um einen unter Pseudonym schreibenden gebürtigen Jugoslawen. Auch Bruce Chatwins Roman Traumpfade erweckt den Eindruck, ein Bericht aus erster Hand zu sein. Was mit solchen Romanen allerdings transportiert wird, hat wenig mit der Realität der Aborigines gemein. Klischees, Tatsachen und Fiktionen vermischen sich zu einem Bild vom „edlen Wilden“, vom Exotischen — nicht weit entfernt von den Tagesausflügen a la „Jetstream“.

Sally Morgan: Ich hörte den Vogel rufen. Orlanda Frauenverlag, Berlin. 419 S., geb., 44 DM.

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