Martin Amis: nicht postmodern

Aber erfolgreich, geschmacklos, eloquent und poetisch — meint  ■ Walter Klier

Martin Amis, frühreifer Sohn des berühmten Kingsley A., geboren 1949, debütierte 1974 mit The Rachel Papers, einem frechen, eloquenten und komischen Roman über verschiedene Schwierigkeiten junger Menschen angesichts anderer junger Menschen, die dem anderen Geschlecht angehören. Der Erfolg ist ihm über eine Reihe von Büchern hinweg treu geblieben, das bisher letzte, London Fields (1989), hat er seinem Vater gewidmet. Auf dem Cover der englischen Taschenbuchausgabe wird es als „The no. 1 bestseller“ bezeichnet.

Der Paul Zsolnay Verlag hat es nun, mit der Übersetzung des 1984 erschienenen Romans mit dem unüberbietbaren Titel Money, unternommen, dem Engländer das Entree zum deutschsprachigen Raum zu verschaffen. Bei Julian Barnes hat es bestens hingehauen, bei Ian McEwan einigermaßen, warum also nicht Amis junior? Es könnte sich, was nicht zu hoffen, aber zu befürchten ist, um einen Fehlstart handeln. Beim Titel wollen wir hoffen, daß Gierig eine Notlösung ist, die aus Urheberrechtsgründen gewählt wurde. Der als Detail aus einem Softporno gestaltete Schutzumschlag (heller Frauenmund schmiegt sich an dunkle Männerwange) dürfte auf das Konto der Marketingabteilung gehen — der einstmals behäbig-ehrwürdig und literarische Zsolnay Verlag (der einstmals sogar Cowper Powys' Monster-Roman Wolf Solent herausbrachte) befindet sich nun im Besitz der eher gewinnorientierten Pabel- Moewig-Gruppe.

Zwei weitere Probleme kommen hinzu. Das erste liegt in der Natur der Sache (des OEuvre von Martin Amis), das zweite in der Übersetzung.Zum ersten: Martin Amis ist nicht postmodern. Was das genau heißt, weiß bekanntlich niemand, aber irgendwie merkt man es doch gleich, ob einer dazugehört oder nicht. Offenkundig treffen ja auf ältere Autoren wie Nabokov oder Bulgakow und Teile der „Moderne“ die für die Postmoderne angeführten Merkmale genauso zu. Aber deswegen sind sie noch lange nicht postmodern.

Im 'New York Review of Books‘ (23.April 1992) hat John Bayley am Beispiel von Angela Carter den meiner Ansicht nach ersten einleuchtenden Erklärungsversuch unternommen. Das einzige Moment, das alle Autoren, die üblicherweise der „Postmoderne“ zugezählt werden, eint: sie sind politically correct, und das äußerst korrekt. Egal wie der Cocktail der Stilmittel jeweils gemixt sein mag, egal welchen Grad von Phantasie dem Realismus innewohnt oder wie realistisch das Phantastische oder Historische oder Jenseitige daherkommt, eines steht fest: ob Süskind oder Eco, ob Ransmayr oder Calvino oder Garcia Marquez — sehr präzise enthalten sich diese Autoren nicht nur aller Äußerungen, die in die Nähe des Frauen-, Behinderten-, Farbigen- oder sonst Irgendwie-feindlichen geraten könnten: auch ihre zentralen, also Idenifikationsfiguren sind in keiner irgendwie denkbaren Weise anrüchig. Diese klugen Schriftsteller wissen genau, daß die Rede ihrer Figuren als ihre Rede gelesen werden wird, und was wird aus dem, der bei sich bei non- pc-Verhalten ertappen läßt? Den stoßen wir in der Orkus des Ignoriertwerdens zurück, wenn er es wagt, über dessen Rand auch nur seine Nase heraufzustrecken! Lediglich unseren lateinamerikanischen Freunden, aufgrund ihrer naturgegebenen Feurigkeit und unserer ewigen Infatuation mit dem auch sonst geplagten Subkontinent, wird jede Ration an Sexismus nachgesehen, die wir Europäer zwar zu brauchen scheinen, einem der unseren aber niemals durchgehen ließen. An Isabel Allende bei Suhrkamp hingegen bewundern wir — gerade das. (Jenes ferne Land, wo Frauen noch Frauen und Männer noch Männer sind.)

Martin Amis hat es, ganz un-postmodern, in den zwanzig Jahren seit den Rachel Papers sehr weit gebracht in der Kunst, höchst unangenehme Zeitgenossen (also das Ekelhafte, Unausrottbare, dem humanistischen Ideal nicht Assimilierbare in uns allen) mit großer Liebe zum abstoßenden Detail darzustellen. Gierig macht keine Ausnahme. John Self (das „durchschnittliche Ich“) heißt der Held und Ich-Erzähler, der uns da mit auf eine über 400 Seiten lange Sauf-, Rauch-, Freß- (ausschließlich junk food), Onanier-, Fick-, Prügel- und Bescheißtour nimmt. Am Ende allerdings — aber das sei nicht verraten.

J.S., ein Londoner Prolet, Sohn eines Pub-Wirts mit dubiosen Praktiken und zwielichtiger Biographie, hat es in der Werbefilmbranche sehr schnell zu viel Geld und zweifelhaftem Ruhm gebracht; seine Werbespots waren geschmackloser und sexistischer als alle anderen. Nun soll er in seinem ersten Spielfilm Regie führen — in New York.

„Gestern wanderte ich auf der goldenen Fifth Avenue zum gelbbraunen Schlund des Parks. [...] Auf dem Gehweg gingen die Erdnußhändler und die Trickkünstler mit ihren drei Karten, die Hütchenzauberer, die Händler heißer Handtaschen und die Konterbandebanditen ihren kleinen Geschäften nach. Mengen schnuckeliger Frauen schnappten heute Waren und Luft... An dicken Titten herrscht in Manhatten kein Mangel. Das ist nicht das Problem. Fast alle hier drüben scheinen sie zu haben... Dann sah ich was, was man hier drüben auch ziemlich häufig sieht: einen Habenichts, eine echte Bodenflunder, einen New Yorker Nomaden, der wie ein nasser Sack mit dem Gesicht nach unten auf den Platten lag, abseits des Schwalls der Geldrausschmeißer, die da wogten, strömten und scharten. Während ich über ihn stieg, schaute ich auf ihn hinab (die Matte steif wie Borke, ein Ohr von der Beschaffenheit einer Granatapfelschale) und sagte — wie ich meinte — ganz umgänglich: ,Steh auf, du faule Sau.‘“

Dem Zitat ist, meine ich, zu entnehmen, daß John Self nicht nur über ein (zumindest äußerlich) eher unromantisches Weltbild, sondern — und das ist wohl einer der Gründe, warum wir ihm überhaupt so lange zuhören — auch über eine Sprache von elisabethanischer Üppigkeit verfügt. Schon deshalb möchte ich der Leistung der Übersetzerin Eike Schönfeld einmal meine Hochachtung erweisen.

Das Problem damit ist nämlich ein kaum Lösbares. Es liegt im Tonfall. Der literarische Slang, den Amis' Self spricht bzw. schreibt, entspricht einer englischen Umgangssprache, die für die Sprecher wie eine Muttersprache funktioniert (auch wenn die Mütter dieser Sprecher nicht so gesprochen haben dürften). Was Eike Schönfeld als deutsches Pendant dazu re-konstruiert hat, klingt für mich wie die stets etwas angestrengt lässige Szene-Sprache norddeutscher Großstädte, signalisiert ein So- sein-Wollen, wie natürlich sie einem vorgestellten Sprecher auch immer von den Lippen kommen mag. Die Sprechweise des Engländers, der in jedem Satz zweimal fucking sagt, ohne sich speziell damit aufspielen zu wollen, ist kaum ins Deutsche herüberzukriegen, egal ob man fucking nun mit verdammt oder Scheiß- oder sonstwie übersetzt. Beispiel: „Yeah, das war echt Scheiße.“

Es braucht insgesamt etwas Langmut, sich an Sätze wie: „Gerade an diesem Nachmittag hatte ich mir für zwanzig Eier eine Mattenumdenke geleistet“ zu gewöhnen. Wer des Englischen etwas mächtig ist, dem würde ich raten, den Text wie Untertitel in einem Film mit Originalton zu lesen; das Original schimmert genügend durch — aber dann sollte man vielleicht gleich zum preiswerten Penguin-Taschenbuch greifen...

Gierig/Money ist ein schönes Buch über die achtziger Jahre und die Bescheißmoral des Kapitalismus, über unverbesserliche Romantiker, die sich als superharte Genußmittelvertilger durchs Leben quälen, und hat Momente von großer Poesie: im Lauf der Handlung lernt John Self einen Schriftsteller namens Martin Amis kennen, der ihm das Drehbuch neu schreiben soll, und eines Nachmittags sitzen sie gemeinsam vor dem Fernseher. Dort läuft — „die königliche Hochzeit [...] Errötend und den Blick ob des Gleißens im Angesicht der Geschichte auf den Boden geheftet, schritt Lady Di — ihren tapsenden Dad neben sich und feixende kleinformatige Brautjungern im Schlepptau — langsam zum Altar. Da stand Charles in Uniform — er ist in meinem Alter — inmitten der stocksteifen Prinzen. Hat Fat Paul recht? Hat Charles sie schon flachgelegt? Heute tut er's — das ist sicher. [...] Da geht sie nun, rafft ihr Kleid zu sich in die Kutsche, während die Pferde aufstampfen. Ganz England tanzt. Wieder schaute ich Martin an, und ich — ich schwöre, ich versichere es Euch — sah eine graue Träne in diesen ernsten Augen schimmern. Liebe und Ehre. Die Pferde klackern die lange Bahn entlang. Nach einer Weile warf er mir eine Klopapierrolle in den Schoß ,Willst du eine Tasse Tee?‘ hörte ich ihn fragen. ,Oder ein Aspirin? [...] Das muß dir nicht peinlich sein. Auf seine Art war es sehr bewegend. Gut so, schneuz dich nur richtig. [...] Du packst das schon. keine Sorge. Am Ende wird doch alles gut.‘“

Martin Amis: Gierig. Zsolnay Verlag Wien. 432 S., geb., 36 Mark.