Wenn Unsichtbare Hauptrollen spielen

Eine medienpolitische Diskussion auf der „3. Bitterfelder Konferenz“/ Rosenbauer mied das Podium  ■ Von Jürgen Berger

Bitterfeld, einst das Battlefield der DDR-Chemie, ist heute „abgewickelt“. Nahezu 17.000 ehemalige Chemiearbeiter warten arbeitslos auf den Aufschwung Ost und haben wohl kaum einen Gedanken dafür übrig, daß ihre Stadt auch für den „Bitterfelder Weg“ und den Slogan „Greif zur Feder, Kumpel“ steht, mit dem SED-Kulturfunktionäre Mitte der 60er Jahre eine Verbindung von Hochkultur und Arbeitswelt herbeizaubern wollten. Leider konnte der Kumpel häufig nicht so, wie die Partei wollte, während das Kulturdiktat des sozialistischen Realismus zur Zensurgeißel für mißliebige Kunst und Literatur wurde. Der „Bitterfelder Weg“ gehört der Geschichte an, seit neuestem steht die Chemiestadt jedoch für den Versuch, ein Gespräch zwischen Künstlern, Literaten und Intellektuellen aus Ost und West zu ermöglichen.

Am letzten Wochenende traf man sich zur „3. Bitterfelder Konferenz“, an deren Ende über die medienpolitische Situation in den öffentlich- rechtlichen Anstalten östlich der früheren Demarkationslinie gesprochen wurde. Es war ein Gespräch, in dem der CSU-Chefabwickler der Ostsender, Rudolf Mühlfenzl, die unsichtbare Hauptrolle spielte.

Einer fehlte in der Diskussionsrunde, obwohl er angekündigt war. Der neue ORB-Intendant Hansjürgen Rosenbauer hatte sich während der dreitägigen Konferenz zwar unter das Publikum gemischt und verlauten lassen, daß ihm sein neuer Job Spaß mache, da es etwas für sich habe, „einfach neu nachzudenken“, dann aber überwogen wohl taktische Gründe für seine Abwesenheit auf dem Podium. Auch für Intendanten ist die Situation komplizierter geworden — im Publikum saßen viele der ostdeutschen Journalisten, von denen westdeutsche Kollegen rückblickend die Zivilcourage einklagen, die sie scheinbar schon immer hatten und haben.

Hansjürgen Rosenbauer hat als Intendant neuerdings viel um die Ohren, während Journalisten wie Uwe- Eckart Böttger auf traurige Art und Weise den Rücken frei haben. Er war vor dem deutsch-deutschen Zusammenfall DDR-Korrespondent des Deutschlandfunks, dann wurde er stellvertretender Chefredakteur des MDR, jetzt hat man ihm gekündigt. Er bezog während der Diskussion klar Stellung und sprach von Mühlfenzls „Gesinnungsschnüffelei“, während Michael Schiewack — Chefredakteur des in Liquidation befindlichen Hörfunksenders DT64 — das CSU-Torpedo in den Ostmedien inzwischen zu seinen Freunden zählt.

Kreuzzüge gegen Kultur

Daß Schiewack das Gebet der Einschaltquoten betete, ist verständlich, sind die Einschaltquoten von DT64 doch sein starkes Argument gegen die Abwicklung des Senders. Elastizität möchte man ihm doch wünschen, auf daß er zumindest ironisch mit der eigenen Rolle in den Machtverteilungskämpfen innerhalb der Ostmedien umgehen kann.

Christoph Singelnstein ist Hörfunk-Chefredakteur des ORB und wollte sich anfänglich (ähnlich wie Schiewack) eher heraushalten, gab dann aber doch einen kurzen Einblick ins Innenleben seines Senders. Er brauche die „Solidarität der Intellektuellen“, sagte er, weil im Moment regelrechte Kreuzzüge gegen anspruchsvolle Kultursendungen stattfänden. Vielleicht findet er Rückhalt bei den Kulturschaffenden, die in den ostdeutschen Rundfunk- und Fernsehräten sitzen. Ihre Problem: Sie wissen nicht voneinander, bekundeten während der Mediendiskussion aber den festen Willen, sich fürderhin zu „bündeln“, um ihre Interessen gegen die CDU-Dominanz besser durchsetzen zu können. Ein Vorhaben, das Singelnstein begrüßte, eine merkwürdige Situation war dennoch entstanden. Die Macher in den Ostmedien übten die für sie neue Einschaltquoten-Rhetorik, während Freimut Duve (SPD-MDB und ehemaliger Herausgeber von 'rororo-aktuell‘) meinte, die Diskussion um Einschaltquoten sei inzwischen von einem Goebbelschen Begriff der Masse bestimmt. Nur Millionen zählten, während 30.000 Seher nicht mehr ausreichten, ein anspruchsvolles Feature zu legitimieren. Widerstand gegen solche Tendenzen hat inzwischen keine Chance mehr, wenn man Christoph Singelnsteins Rede folgt. Er meinte, Widerstand habe keinen Markt, worauf der Maler A. R. Penck abgeklärt zu verstehen gab: „Widerstand gibt es nur auf dem Markt. Auf dem Markt aber unterliegt alles den Gesetzen von Kaufen und Verkaufen.“