Im Fegefeuer der Ungewißheit

Eishockey-WM: Sollten Ludek Bukac und die deutsche Nationalmannschaft im Viertelfinal-Playoff gegen die Schweiz nicht gewinnen, könnte eine starke WM plötzlich nichts mehr wert sein  ■ Aus Prag Peter Unfried

Wäre Dr.Ludek Bukac Mediziner, man würde ihm unbesehen seinen etwaig defizitären Körper oder Geist anvertrauen, in der guten Hoffnung, der Prager werde sicher helfen können. So vertraueneinflößend ist der ruhige, freundliche und a priori sympathische Mann. Nun ist Bukac aber nicht Arzt, sondern, wie bei tschechoslowakischen Eishockeytrainern nicht unüblich, ein Doktor der Philosophie. Und doch ist er gerade drauf und dran, einem seit Urzeiten darbenden Patienten wenn nicht Heilung, so doch zumindest Besserung zu verschaffen.

Heute nachmittag (15Uhr) spielt die deutsche Eishockeynationalmannschaft in Prag gegen die Schweiz um den Einzug ins Halbfinale, und falls sie den schafft, wird es der größte Erfolg seit der WM-Silbermedaille von Zürich 1953 sein, wenn man von einer fast schon in den Stand einer Reliquie erhobenen Olympia-Bronzemedaille von Innsbruck 1976 einmal absieht. Das Problem ist nur: Man muß gewinnen. Gelingt es, gehört man, pünktlich zu den Weltmeisterschaften im eigenen Lande, zur Crème unter den eishockeyspielenden Nationen. Gelingt es nicht, hat man mit dem Erreichen der Playoffs gerade mal das Minimalziel erreicht. Und die teilweise hochklassigen Leistungen der Vorrunde wären Vergangenheit wie jene Innsbrucker Medaille.

Sagen tut das beim DEB keiner, wissen tun es alle. Franz Reindl etwa, damals als Spieler und heute als Bukac' Assistent dabei, sagt, der Erfolg käme eben, wenn man arbeite. Als er aber bemerkt, daß es für diesen Satz noch genau ein Spiel zu früh ist, merkt er schleunigst an, er, der Erfolg, sei aber, wenn man nachlasse, sofort wieder weg.

Auch Ludek Bukac kennt den Unterschied zwischen Erfolg und Mißerfolg. In seiner Heimat Prag coachte er die CSSR selig 1985 zum Titel, danach scheiterte er jahrelang an der vermeintlich sehr viel einfacheren Aufgabe, die Österreicher in die A-Gruppe zu führen. Im Juli letzten Jahres übernahm er von Ladislav Olejnik einen echten Scherbenhaufen, der in Finnland WM-Letzter geworden und untereinander heillos zerstritten war.

Der Doktor erkannte schnell, woran es krankte, „nicht nur zu kämpfen, eine Spielkultur aufzubauen“, sei er seitdem bestrebt gewesen. Das Erstaunliche: Die Spieler zogen mit und sind jetzt regelrecht euphorisch. Ron Fischer etwa, der Rosenheimer Verteidiger, der sich eigentlich um seine Zukunft in der Bundesliga sorgen sollte, lobt die neue Zeit, genießt einfach das nie dagewesene Gefühlsparfüm, das Erfolg heißt. Nicht nur der neue Mann an der Bande, jeder Spieler sei jetzt wichtig, seit auch jeder das Gefühl habe, wichtig zu sein.

„Es muß nicht jeder Tore machen“, sagt Fischer, „aber jeder hat seinen Job.“ Und ist damit glücklich. Sogar Mike Schmidt, den die WM- Entdeckung Jörg Mayr (Köln) vom Verteidigerposten verdrängt hat, und der Rosenheimer Wolfgang Kummer, der am Montag für Jungcenter Stefan Ustorf (Kaufbeuren) gegen die Polen genauso ran durfte wie Drittkeeper René Bielke (Dynamo Berlin). Da hat Bukac mit angezogener Handbremse spielen lassen, und trotzdem sprang ein 11:1-Kantersieg heraus, wie er seit vielen Jahren nicht mehr gelungen war. Und gegen die Italiener spielte man auch nicht berauschend und gewann doch klar. „Alles“, sagt Franz Reindl, „kommt mit dem Selbstvertrauen und dem Engagement.“ Und Ron Fischer ergänzt: „Wir haben das ganze Jahr hart gearbeitet, jetzt hat sich auch noch das Glück auf unsere Seite geschlagen.“ Gegen Schweden wurde zudem gezeigt, zu welchen Leistungen das Team fähig ist, jetzt ist alles eine Frage der Konstanz, und die sei, so Bukac, „auch eine Konditionsfrage“.

Vor vier Wochen hat sich das Team getroffen, zehn Tage trainiert, vier Vorbereitungsspiele und inzwischen fünf WM-Spiele bestritten, „in allen sehr gut gespielt“ (Bukac); jetzt verordnet der Doktor Regeneration. Am Dienstag hat man geruht, gestern leicht trainiert, derweil haben Hans Zach, der Tölzer Metzgermeister, und der gute Mensch von Landshut, Erich Kühnhackl, die Schweizer und — wer weiß — mögliche folgende Gegner ausgespitzelt.

Hatten einige Spieler wie der Berliner Georg Holzmann am Wochenanfang noch gemutmaßt, „die Kanadier liegen uns mehr“, zumal man gegen jene „noch eine Rechnung offen“ habe (Franz Reindl), hat man sich inzwischen mehrheitlich dem Jüngsten, Stefan Ustorf, angeschlossen, der mit erstaunlicher Weisheit angemerkt hat, in den Playoffs seien alle Gegner gleich stark.

Was im Falle der Schweizer, die im übrigen in einer identischen Erfolgszwickmühle stecken, speziell für deren Verteidigungskünste gilt. „Die sind defensiv sehr stark“, weiß Bukac und wird sich seinen Reim darauf machen. Zu schlagen sind sie aber genauso wie (fast) alle Teams vom Jahrgang '92. „Es ist schon wichtig, daß wir 1993 zu Hause mit dabei sind und hier in die Playoffs gekommen sind“, sagt Doktor Ludek Bukac. Falls es schiefgehen sollte. Und hoffnungsvoll: „Ich hoffe, daß wir so clever wie gegen Schweden spielen.“ Weil dann nicht viel schiefgehen kann.

Irgendwo im Fegefeuer steckt der Mann, eine Hand schon an der Ausgangstür Richtung Himmel, doch gequält von der Ungewißheit, ob jene sich auch öffnen lassen wird.