Bundesarmee in Bosnien bleibt intakt

Die Angliederung der jugoslawischen Bundesarmee an die serbischen Territorialeinheiten in Bosnien hat keinen Einfluß auf die Fortführung des Krieges/ Bosnische Führung: „Etikettenschwindel“  ■ Von R. Hofwiler/ E. Rathfelder

Der Beschluß aus Belgrad löste Überraschung und Verwirrung aus: Der Oberbefehl über die jugoslawische Bundesarmee auf dem Territorium Bosniens werde abgegeben, der Belgrader Verteidigungsminister sei nicht länger für die Armee-Einheiten Bosniens zuständig. Von nun ab werde die jugoslawische Armee in Bosnien sich mit den serbischen Territorialeinheiten verbinden und dem Befehl der serbischen Repäsentanten in Bosnien unterstellt. Die serbischen und montenegrinischen Armeeangehörigen würden Bosnien verlassen und in ihre Heimatländer zurückkehren, erklärte das Staatspräsidium der aus Serbien und Montenegro gebildeten Bundesrepublik Jugoslawien am Dienstag.

Damit hat das Staatspräsidium formal einen unhaltbaren Zustand beendet, der gegenüber internationalen Gremien nicht mehr zu vertreten war. Kein Staat kann vor dem Völkerrecht bestehen, wenn er über Truppenverbände in einem anderen Staat verfügt und dort sogar einen unerklärten Krieg führt. Schon am 27.4. hatte Belgrad neben Kroatien, Slowenien und Mazedonien auch Bosnien offiziell aus dem jugoslawischen Staatsverband entlassen und gleichzeitig einseitig angekündigt, die Truppen der jugoslawischen Volksarmee dort abzuziehen. Was allerdings nicht geschehen ist.

Mit dem Schachzug, den 2. Militärbezirk des alten Jugoslawiens (insgesamt gab es fünf Militärbezirke), der mit Bosnien fast identisch ist, aufzulösen und die Verbände der serbischen Territorialverteidigung vor Ort anzugliedern, versucht die jugoslawische (serbische) Führung, sich nach außen hin der Verantwortung gegenüber dem Krieg in Bosnien zu entziehen. Denn die außenpolitische Isolierung der Bundesrepublik Jugoslawien hat dramatische Züge angenommen. Nur Rußland, Rumänien, China und Griechenland zeigten sich bisher bereit, das neue Staatsgebilde anzuerkennen. In EG und KSZE wird ernsthaft erwogen, Jugoslawien den diplomatischen Status abzuerkennen. Unter diesen Umständen ist die Umwandlung der Armee in Bosnien durchaus verständlich.

Die jugoslawische Armee in Bosnien wird mit diesem Manöver militärisch keineswegs geschwächt. Nur sechs Prozent der Armeeangehörigen in Bosnien sind Serben und Montenegriner, alle anderen sind angeblich bosnische Staatsbürger — unklar bleibt bisher, ob die muslimanischen Armeeangehörigen nun offiziell die Armee verlassen dürfen. Der hohe Prozentsatz von bosnischen Staatsangehörigen in der Armee erklärt sich auch daraus, daß Bosnien das logistische Zentrum der jugoslawischen Volksarmee schon vor dem Zerfall Jugoslawiens darstellte. Viele serbische Berufsoffiziere waren hier über längere Zeit stationiert. Weiterhin wird das Kriegsmaterial in Bosnien gelassen. Die Luftwaffe, die in Mostar und Bihac über zwei moderne Militärflughäfen verfügt, bleibt ebenfalls intakt. Mit der Angliederung des 2. Militärbezirks an die bosnischen Territorialverbände ist die Operationsfähigkeit der Armee also keineswegs eingeschränkt.

Finanzierung unklar

Allerdings tun sich einige rechtliche Probleme auf: Nach der alten jugoslawischen Verfassung müßte erst einmal der 2. Militärbezirk aufgelöst werden, und dann erst könnte man über andere Militärfragen verhandeln. Eine Umwandlung eines Militärbezirkes in ein Oberkommando einer Republik war weder in der letzten noch in der neuen jugoslawischen Verfassung möglich. Fraglich bleibt außerdem die Finanzierungsfrage: Zwar verfügt die Armee in Bosnien über große Materiallager, Lebensmittel und sogar über eigene Produktionsanlagen, doch dürfte nach Monaten der Vorrat aufgebraucht sein. Hinzu kommt, daß die Führer der serbischen Freischärler endlich auch an die Fleischtröge der Offizierslaufbahn gelangen wollen. Angesichts dieser komplizierten Situation haben weder der Serbenführer Karadzic noch der Oberbefehlshaber des 2. Militärbezirks Kukanjac sich bis gestern zu den Plänen Belgrads geäußert. Es ist nämlich gar nicht sicher, ob sich diese beiden Serben mit den Gedankenspielen aus Belgrad anfreunden wollen. Denn nun auf sich allein gestellt, könnte sich die Erreichung des gemeinsamen politischen Ziels, den Anschluß der von den Serben in Bosnien beanspruchten Gebiete an Serbien, verkomplizieren.

Bezeichnenderweise nahm das aus Muslimanen und Kroaten gebildete bosnische Staatspräsidium keine Stellung zu den Plänen Belgrads. Bosnische Spitzenpolitiker erklärten allerdings, es handele sich um „kosmetische Maßnahmen, um das Ansehen Belgrads im Ausland zu heben“ (Vizepräsident Muhamed Cengic). Da in den Belgrader Plänen nirgends auf Friedensregelungen eingegangen wird, sei das Ende des Krieges keineswegs in Sicht.