INTERVIEW
: „Der Oberrabbiner wird eine Entscheidung fällen“

■ Die Altonaer SPD-Bundestagsabgeordnete Marliese Dobberthien zum Streit um das Gelände eines ehemaligen jüdischen Friedhofs in Hamburg-Ottensen: Es zählt nicht nur der Rechtsstandpunkt

taz: Der Konflikt um den Jüdischen Friedhof in Ihrem Wahlkreis wird im Ausland sehr beachtet. Sorgen Sie sich um das Hamburger Image?

Marliese Dobberthien: Ich sah neulich eine Reportage von CNN, die den alten häßlichen Deutschen wiederauferstehen ließ. Sieht man das im Zusammenhang mit den Bildern deutscher Polizisten, die in Altona Juden wegtragen, dann ist das alles andere als gut.

Der Hamburger Senat hält die rechtliche Situation für eindeutig. Sie auch?

Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen: verkauft ist verkauft und wiederholen ist gestohlen. Aber der eigentliche Sündenfall war, daß die Nazis den Friedhof zerstörten. Gut, nach dem Krieg ist das Gelände mit Zustimmung der Jüdischen Gemeinde in Hamburg verkauft worden. Auch jetzt hat die Gemeinde der Bebauung zugestimmt. Trotzdem kann man nicht nur mit dem Rechtsstandpunkt argumentieren.

Es entstand ja der Eindruck, daß die Jüdische Gemeinde sich defensiv verhielt und einer Umbettung aus Angst vor antisemitischen Reaktionen zugestimmt hat.

Die Jüdische Gemeinde war doch nie defensiv. Sie hat ihre immer vertretene Position beibehalten. Sie befürchtet jetzt, und wie ich meine, nicht ganz zu Unrecht, daß antisemitische Mißtöne aufkommen. Ich hab' einen Zettel gesehen, der in Ottensen auf der Straße lag: „Hamburg-Ottensen ist ein Sieg des Rechts und der Freiheit über Judengesindel“. Schrecklich, daß nun anonym diese Hetze unter die Leute gebracht wird.

Welche Lösungsmöglichkeiten sehen Sie derzeit?

Jetzt ist das weitere Prozedere klar: Heute kommt der Oberrabbiner Kolitz aus Jerusalem nach Hamburg. Er gilt als Autorität und wird aus religiöser Sicht einen Schiedsspruch fällen. Meiner Kenntnis nach sind alle Beteiligten bereit, sich dem zu beugen.

Gestern demonstrierten einige hundert orthodoxe Juden in Bonn. Meinen Sie, sie gewinnen damit die Aufmerksamkeit des Parlaments?

Der Bundestag hat sich mit dem Thema nicht befaßt. Sollte heute keine Einigung zustande kommen und eine Umbettung ausgeschlossen werden, überlege ich, in welcher Form im Parlament sinnvoll über den Konflikt diskutiert werden könnte.

Herr Kohl machte bereits klar, daß er keine Lust hat, sich mit dem Thema zu beschäftigen.

Kohl hat keine Lust, sich damit zu beschäftigen, und das wird sicherlich beachtet und zur Kenntnis genommen werden. In diesem Fall ausschließlich Herrn Kohl um Hilfe bitten zu wollen, halte ich für falsch. Damit würde der Bock zum Gärtner gemacht. Interview: Julia Kossmann