INTERVIEW
: Sozialpakt zur gerechten Lastenverteilung

■ Elmar Altvater, Professor für Politische Ökonomie an der FU Berlin, zu Waigels Sparplänen

taz: Herr Altvater, reichen die von Finanzminister Theo Waigel am Dienstag vorgestellten finanzpolitischen Eckpfeiler aus, das riesige Staatsdefizit in den kommenden Jahren zu reduzieren?

Altvater: Solange der Zuwachs des Bundeshaushalts unter der Inflationsrate bleibt, wird selbstverständlich das Defizit verringert. Ausreichend ist dies aber keinesfalls, da die bereits aufgenommene Staatsverschuldung mit den riesigen Zinsbelastungen jede Kürzung erschwert.

Wo sehen Sie noch Einsparungsmöglichkeiten?

Am Militäretat könnte nach dem Ende der Ost-West- Konfrontation durchaus gekürzt werden. Aber da stehen immer noch die Interessen auch der Industrie dahinter, die dies zu verhindern trachten. Aber Kürzen ist ein Politikum. Keiner will, daß seine Klientel davon betroffen wird; deshalb ist das Kürzen bei den Bundesausgaben auch so schwierig.

„Die Schwächsten dürfen nicht noch zusätzlich belastet werden“

Wo sollen die Milliardenbeträge, die die Anschubfinanzierung für Ostdeutschland noch verschlingen werden, eigentlich herkommen?

Es geht nicht ohne Kürzungen bei bestimmten Ausgaben. Es geht auch nicht anders, als daß möglicherweise einige Steuern erhöht werden oder die von Theo Waigel angekündigten Steuersenkungen nicht durchgeführt werden. Kürzungen und zusätzliche Beiträge durch Steuern setzen aber voraus, daß so etwas wie ein Sozialpakt in der Bundesrepublik zustande käme. Die von Kürzungen oder neuen Belastungen Betroffenen müssen wissen, daß sie nicht die einzigen sind, die zur Kasse gebeten werden, sondern daß alle daran mehr oder weniger gerecht beteiligt werden. Bei den Vorschlägen von Bundesfinanzminister Waigel geht es nicht um die Herstellung eines Konsenses, sondern um eine Ankündigung, die zeigen soll, daß überhaupt etwas unternommen wird. Diese politische Aufgabe wird nicht einmal annäherungsweise in Angriff genommen.

Hat die Finanzpolitik der Bundesregierung also wieder einmal versagt?

Das kann man wohl sagen. Sie hat bereits 1990 versagt, als die Kosten der Einigung falsch eingeschätzt wurden. Auch die Steuerlüge kommt einem ins Gedächtnis, für die die Politik zur Verantwortung gezogen werden müßte.

Gibt es plausible Alternativen zum Regierungskurs?

Es müßte ein politisches Paket geschnürt werden, das sowohl Einsparungen als auch zusätzliche Mittel etwa durch weitere Steuererhöhungen enthält und bei dem die zusätzlichen Lasten für die Bewältigung der Probleme bei der Wiedervereinigung einigermaßen gleich verteilt werden. Die Schwächsten der Gesellschaft, beispielsweise die Arbeitslosen — die auch die schwächste Vertretung im politischen System haben — dürfen nicht noch zusätzlich belastet werden, während die vielen Einigungsgewinnler sich ins Fäustchen lachen können und dabei noch eine goldene Nase verdienen. Interview: Erwin Single