Bleibt nur die Hoffnung auf ein höheres Wirtschaftswachstum...

■ Auch nach den „Eckwerten“ ist unklar, wie Bonn für die anstehenden Kosten aufkommen will: Ausgeblendet bleiben z.B. die Zinslasten für bisherige Schulden

Mit „strikter Haushaltsdisziplin“ will Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) das große Loch in der Staatskasse stopfen — ohne Steuererhöhungen, ohne ein Zusammenstreichen der Leistungen des Staates für die BürgerInnen, so sein Versprechen. Die Ausgaben des Bundes sollen bis 1996 nicht mehr als 2,5 Prozent jährlich wachsen dürfen. 1995 soll der Bund dann nur noch 25 Milliarden Mark an neuen Krediten zum Ausgleich des Haushalts brauchen; in diesem Jahr waren es noch 45 Milliarden Mark. Die erste Ausnahme der Regel — „keine Abgabenerhöhung, keine Leistungskürzung“ — lieferte Waigel allerdings gleich mit: Die Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg erhält keine Zuschüsse mehr aus der Bundeskasse, obwohl sie in diesem Jahr auf ein Defizit von zwei bis drei Milliarden, im nächsten gar sechs bis acht Milliarden Mark zusteuert. Sie muß also ihr Angebot an ABM-Stellen und Weiterbildungsmaßnahmen kürzen — oder den Beitragssatz der Arbeitslosenversicherung von jetzt 6,3 Prozent auf 7 Prozent der Löhne und Gehälter erhöhen.

Die Senkung des Spitzensteuersatzes von 53 auf 46 Prozent für die reichsten BundesbürgerInnen — die zunächst automatisch über vier Milliarden Mark weniger in die Staatskassen bringt — muß laut Waigel ebenfalls „kostenneutral“ ausfallen, also an anderer Stelle eingespart werden. Interessant an Waigels „Eckwerten“, die das Bundeskabinett nächste Woche verabschieden soll, ist vor allem, was nicht in ihnen enthalten ist. Waigel beschränkt sich auf die lapidare Feststellung, daß alle Kosten, die auf den Haushalt zukommen, nicht über neue Kredite beglichen werden dürften.

Schon heute ist klar, daß in dem Zeitraum, für den die „Eckwerte“ gelten, erhebliche Kosten auf den Bundeshaushalt zukommen werden. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird das Bundesverfassungsgericht in den nächsten Monaten ein milliardenteures Urteil fällen, nach dem niedrige Einkommen nicht mehr wie bisher besteuert werden dürfen. Schon beim Kinderfreibetrag hatten die Karlsruher Richter entschieden, daß von Familieneinkommen, die niedriger sind als die Sozialhilfe, nicht auch noch Steuern abgezogen werden dürften. Die demnächst auch beim Grundfreibetrag entstehenden Steuerausfälle will Waigel anderswo eintreiben; wo, sagt er jedoch nicht.

Übernahme der Treuhandschulden erst nach der Wahl von 1994

Teuer wird auch die Übernahme des Kreditabwicklungsfonds in den Bundeshaushalt für das Jahr 1994. Von den Altschulden der Ex-DDR werden dann voraussichtlich 100 Milliarden Mark übrig sein. Mit der Übernahme dieser Schulden durch die öffentlichen Haushalte, so Waigel, sei „keine neue Belastung der Kreditmärkte“ verbunden; wie das gehen soll, sagt der Finanzminister auch in diesem Fall nicht.

Die Übernahme der Treuhandschulden hat der Bundesfinanzminister jetzt auf das Jahr nach der 1994er Bundestagswahl terminiert. Er rechnet mit 150 Milliarden Mark Schulden, das unabhängige Ifo-Institut für Wirtschaftsforschung kam in einem Staatsschuldenszenario am vergangenen Wochenende für diesen Posten auf 250 Milliarden Mark bis Ende 1994. Die ostdeutschen Wohnungsbauunternehmen werden bis Ende 1993 50 Milliarden Mark Schulden gemacht haben.

Auch die jährlichen Milliardendefizite von Bahn und Post landen letztlich beim Bundeshaushalt, auch wenn Waigel weiter darauf besteht, daß all diese Hunderte von Milliarden nicht zur Staatsverschuldung zählten, weil sie Verluste der entsprechenden Unternehmen seien. Ausgeblendet bleiben in Waigels Eckwerten auch die Zinslasten für die bis zu diesem Jahr gemachten Schulden. Einschließlich aller Nebenhaushalte werden auf den gesamten Schuldenberg des Staates von 2,26 Billionen Mark im Jahr 1995 Zinszahlungen von 176 Milliarden Mark fällig. Schon in diesem Jahr muß der Bund mit 55 Milliarden Mark für Zinsen mehr ausgeben, als er für Verteidigung (52 Milliarden) ausgibt.

Die hohe Staatsverschuldung ist in den vergangenen zwei Jahren durch die Kreditfinanzierung der deutschen Einheit entstanden. In den kommenden Jahren will Waigel 80 bis 90 Milliarden Mark jährlich nach Osten überweisen — deutlich weniger als die 140 Milliarden dieses Jahres. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) hält demgegenüber bis zum Jahr 2000 ungefähr gleichbleibend hohe Transferzahlungen von Westdeutschland an die neuen Bundesländer für notwendig, wenn das Ziel der gleichwertigen Lebensverhältnisse in weniger als zwanzig Jahren erreicht werden soll (für den 20-Jahres-Zeitraum setzen die Wissenschaftler ein durchschnittliches ostdeutsches Wirtschaftswachstum von sieben Prozent im Jahr voraus).

Wie die Bundesregierung für die anstehenden Kosten aufkommen will, ist auch nach Waigels „Eckwerten“ nicht viel klarer. Bleibt also die Hoffnung auf ein höheres Wirtschaftswachstum. Jedes Prozent Wachstum spült automatisch 17 Milliarden Mark Mehreinnahmen in die Staatskassen. Jedoch hat mit ein bis zwei Jahren Verspätung die Flaute der Weltwirtschaft auch die Bundesrepublik erreicht. Nach den fetten End-80er-Jahren wird die Wirtschaft des vereinten Deutschlands in diesem Jahr nur um zwei Prozent wachsen. Für dieses Jahr ist bereits wieder ein Nachtragshaushalt fällig. 3,8 Milliarden Mark mehr muß Waigel ausgeben, als bisher geplant. Zwei Milliarden davon sind Zinsen für einen der Schattenhaushalte, den Kreditabwicklungsfonds. Donata Riedel