Raumforschung im Futur II

■ Abgesänge auf ein Renommierprojekt: Bettina Allamoda und ihre »Archäologie der Gegenwart«

Was vor zwanzig Jahren als Riesenschritt in der Entwicklung der gesamten Menschheit gefeiert wurde, besitzt heute nurmehr den Stellenwert einer Marginalie des Kalten Krieges. Archäologie der Gegenwart nennt die Berliner Künstlerin Bettina Allamoda ihre Ausstellung, die in Zusammenarbeit mit dem Informations- und Kulturzentrum der russischen Föderation entstand.

Das ehemalige Haus der sowjetischen Wissenschaft und Kultur als Satellit untergehender Weltmachtutopien eignet sich besonders, die Vermischung von Wissenschaft und Fiktion in der Geschichtsschreibung zu verdeutlichen. Im Grenzbereich zwischen Kunst und politischer Stellungnahme beschäftigt sich Allamoda schon seit längerem mit der Art und Weise, wie gelebte Gegenwart im Museum repräsentiert und damit der Historie übergeben wird.

Die Szenerie könnte nicht symbolträchtiger sein. Während eine internationale Baufirma mit maschinengetriebenen Hämmern die noch unter Honecker zur Hebung des allgemeinen Prestiges geplanten Friedrichstadtpassagen auseinandernimmt, zeigt Allamoda auf der anderen Straßenseite — angeregt durch die Ausstellung eines sowjetischen Malers über Begegnungen zwischen Menschen und Ufos — ihre Version des Abgesanges auf ein noch wesentlich ausufernderes Renommierprojekt: die Weltraumfahrt.

Wer den großen, L-förmigen Raum betritt, glaubt sich auf den ersten Blick eher in einem Naturkundemuseum als in einer Kunstausstellung. An den Wänden hängen Leuchtkästen mit Bildern aus dem Weltraum, daneben stehen dreidimensionale Modellandschaften, über Video läuft ein Dokumentarfilm, und auch museumsübliche Vitrinen fehlen nicht. Erst allmählich erkennt man, daß die scheinbar eingehaltene wissenschaftliche Disziplin permanent aufgebrochen wird. So zum Beispiel befinden sich mitten im Raum zwei rätselhafte, unförmige, von Alufolie überzogene Körper, deren Bedeutung auch bei längeren Nachforschungen unerklärbar bleibt. Über die Illustrationen aus dem Kosmos läßt sich immerhin herausfinden, daß sie integraler Bestandteil russischer Weltraumexpeditionen waren. Der Anschaulichkeit halber sollten eigens im künstlerischen Zeichnen ausgebildete Kosmonauten ihre Manöver und Erfahrungen der Nachwelt per Buntstift überliefern. Merkwürdigerweise jedoch sind auf diese Zeichnungen kaum wahrnehmbare Umrisse amerikanischer Trägerraketen gelegt.

Und auch mit den Landschaften stimmt etwas ganz offensichtlich nicht. Die auf das Plastik projizierten Satellitenaufnahmen mögen noch einleuchten, die Reliefs aber sehen derartig wulstig deformiert aus, daß sie als Darstellung realistischer Topographien kaum in Frage kommen. Die Prefuturehistoric Slabs, Alien Excavation und Toycult Cases sind nichts anderes als eine ironisch-hintersinnige Schau auf Ziele und Möglichkeiten der Weltraumforschung. Sie entlarven das hinter der Empirie verborgene Wunschdenken, das der Menschheit bislang Milliarden verpulverter Dollars, freie Telefonleitungen nach Übersee und sechsundzwanzig Fernsehprogramme beschert hat, durch ihre schleichende Absurdität. Aber Allamoda präsentiert uns nicht nur die Verballhornung einer Geschichtsausstellung im Futur, sondern liefert auch einen kritischen Kommentar zu der Macht der Museen im Hier und Jetzt.

Entgegen der weitverbreiteten Ansicht, Geschichte werde auf der Straße gemacht, prägen die Ausstellungen und Bücher einzelner Historiker das Bild der verschiedenen Epochen. Stellt sich also die Frage, warum nicht das eigene Museum mit in die Waagschale werfen? Allamoda gibt uns eine Antowrt: Kunst hat schon immer Geschichte gemacht. Ulrich Clewing

Informations- und Kulturzentrum der russischen Föderation, Friedrichstraße 176-179, Mo. 14-18 Uhr, Di.-Do. 10-19 Uhr, Fr. 10-18 Uhr, Sa. 10-14 Uhr, noch bis 10.5.