DURCHS DRÖHNLAND
: Einmal Gruftie, immer Gruftie! Oder doch nicht?

■ Die besten und schlechtesten, die wichtigsten und überflüssigsten Konzerte der nächsten Woche

Alte Helden, Kapitel 365: TV Smith war Sänger und Texter bei den Adverts, damals, als in den späten Siebzigern die rauhen Jährchen begannen. Die Adverts erkletterten die Leiter kurz nach den Clash oder den Pistols, auch wenn sie nie deren Berühmtheit erlangten. Mit Gary Gilmore's Eyes konnten sie immerhin einen mittelschweren Hit landen. Genau an diesen Song erinnerte sich Campino, als er seine Lieblingspunkhits für Learning English zusammenstellte und engagierte TV als Gastvokalist für die letzte »Toten Hosen«-LP. Vorher war Smith relativ in der Versenkung verschwunden, obwohl er und seine Gitarre gerne das Vorprogramm bei Bands wie Blyth Power oder Chumbawamba bestritten. Von den britischen Inseln traute er sich nicht mehr runter — was er und seine Gitarre jetzt nachholen. Was TV Smith jetzt musiziert, kann man irgendwie nicht mehr als Punk bezeichnen — die Zeit heilt zu viele Wunden —, aber ist immerhin einigermaßen auf der Höhe der Zeit, ohne sich anzubiedern. Einfacher, straighter Rock'n'Roll, der live durch die Reduzierung auf Stimme und Gitarre rüde genug bleibt. Der Platz von Johnny Thunders ist ja schon seit längerem vakant.

Am 8.5. um 22 Uhr im K.O.B., Potsdamer Straße 157, Schöneberg

Also erst mal bekommen Bob den Preis für den ödesten Bandnamen der Woche. Und dann den für die zartschmelzendsten Melodien zwischen Beatles und Byrds, die erklärtermaßen große Einflüsse für die Londoner sind. Rain von den Pilzköpfen gehört genauso zu ihren Covers wie Eight Miles High von den Byrds. Dabei verquicken sie auf das vortrefflichste die manirierte Melodik Englands mit dem amerikanischen Gefühl für Gitarren und schlichtes Songwriting. Ab und an haben die konsequenten Selbstverleger auch einige Momente Zeit für sanft abkupfernde Sixties-Psychedelia. Manchmal mögen sie zu verträumt sein, aber meistens finden sie dann doch den rettenden, etwas härteren Ton. Vor allem sind Bob völlig unbeleckt von der in Britland grassierenden Trendhysterie und können so ziemlich zeitlose Musike machen.

Am 8.5. um 22 Uhr auf der Insel, Alt-Treptow 6, Treptow

Guter, massenwirksamer Pop muß kein Fehler sein. Garland Jeffreys führt das in Dekadenabständen vor. An Matador konnte sich eigentlich niemand mehr so recht erinnern, als er letztes Jahr mit Hail Hail Rock'n'Roll wieder zuschlug. Daß der gute Herr Jeffreys dabei nur zwei, drei gute Ideen, die andere auch schon früher hatten, noch mal aufkocht, sollte nicht stören, weil man sich ja nicht die LPs kaufen muß. Immerhin dürfte Jeffreys mit Abstand den Weltrekord für Two-Hit-Wonders halten.

Am 8.5. um 20 Uhr im Quartier, Potsdamer Straße 96, Schöneberg

Bill Laswell erspielte sich in den Achtzigern mit dem losen Kollektiv Material und diversen Produzenten- Jobs (z.B. für Herbie Hancocks Rockit) den Ruf, Jazz, Funk und Ethno einander so nahe zu bringen, daß das Ergebnis eher »einschläfernd« ('New Musical Express‘) wirkte. Letztes Opfer seiner Produktionsaktivitäten waren die Pariser FFF. Diese spielen einen zeitgemäßen, harten Funk, der mal an Living Colour, dann wieder an Mordred oder auch an die Red Hot Chili Peppers erinnert. Ganz nebenbei sind sie auch HipHop und Ethnopop nicht abgeneigt. So wie sie in ihrer Musik die aktuellen Entwicklungen im Funk und dessen Crossovers adaptieren, so oft wechseln sie auch die Sprachen: Englisch ist ja noch normal, aber Französisch und Kreolisch klingen in dem Zusammenhang doch etwas komisch. Aber FFF besitzen, wie ihre Landsleute Mano Negra oder Negresses Vertes, die charmante Eleganz, die sie davor rettet, mit ihrem Stilmatsch badenzugehen. Heutzutage geht alles so einfach, fast zu einfach, aber FFF sind trotzdem eine außerordentlich gute Band. Party garantiert.

Am 9.5. um 22 Uhr im JoJo, Wilhelm-Pieck-Straße 216, Mitte

Holländische HipHop-Acts haben, genauso wie deutsche, ein Problem, das Dirk Scheuring im Januar- 'Spex‘ treffend umschrieb: »die besinnungslose Gleichsetzung von Unvergleichbarem«. Zuallererst natürlich, weil HipHop seine Wirkung vor allem daraus bezieht, daß er die Differenz zwischen den Posses (schwarz) und der Gesellschaft (weiß) formuliert. Wie sollten also Mitteleuropäer HipHop machen können, wenn sie in einer Gesellschaft leben, in der sie schon allein durch die Hautfarbe keine Außenseiter sind? Natürlich kann ein weißer Junge jede Menge schwarze Platten hören und ziemlich genau die Musik kopieren, vielleicht sogar virtuoser spielen. Aber raus kann nur etwas kommen, was sich wie HipHop anhört, aber kein HipHop ist. Das sagt natürlich erst mal nicht viel über die Qualitäten von D.A.M.N. aus, die sicher so gut wie jede andere Kopistenband sind, wenn nicht besser. Wobei es natürlich keinen Unterschied macht, daß einer des Duos ein Schwarzer ist und daß Kopieren nicht das Schlimmste wäre, schließlich machen das vor allem Deutsche schon seit Jahren auch — mit Gitarrenrock und allem anderen. Aber bei HipHop geht es eben in erster Linie um Politik, geht es darum, der schwarzen community ein Sprachrohr zu geben. Danach erst kommt die Party. Bei Gitarrenmusik maßen sich die Europäer wenigstens nur die Klischees von staubigen Landstraßen und whiskeydurchtränkten Nächten an, da ist die Karikatur offensichtlich. Also von mir aus sollen die alle ihre Party feiern, aber es nicht HipHop nennen. Äh, nichts für ungut. D.A.M.N. sind übrigens das große, kommende Ding aus Holland.

Am 9.5. um 20.30 Uhr auf der Insel

Wichtig sind sie nicht mehr, längst schon schichten andere die Verzerrungen und Rückkopplungen mächtiger übereinander. Einzigartig bleiben sie trotzdem, weil sie als erste den »White Noise« konsequent ins keimfreie CD-Zeitalter der Popmusik eingeführt haben. Zwar können The Jesus & Mary Chain schon lange nicht mehr die Schockwirkung ihrer ersten Auftritte und Singles erlangen, aber immer noch — auch auf ihrer neuesten LP Honey's Dead — sind sie gut für den einen oder anderen melancholischen Simpel-Hit, der durch die Differenz zwischen ekstatischen Noise-Gitarren und unterkühltem Nongesang besticht.

Am 10.5. um 21 Uhr in Huxley's Neuer Welt, Hasenheide 108-114, Kreuzberg

Vor ungefähr einem Jahrzehnt sah ich sie einmal bei einem Open-air, direkt vor Neil Young. Daß sie da den kürzeren zogen, sollte niemand überraschen. Danach freundete ich mich zeitweise mit ihrem kruden, wenn auch etwas dämlichen Humor an. Das war ungefähr zur selben Zeit, in der ich eine mir immer noch unerklärliche Schwäche für Marty Feldmann entwickelt hatte. Aber nach all den Jahren ist von Jethro Tull nur Locomotive Breath geblieben, und das geht ja eigentlich allen so. Irgendwas muß an diesem Song dran sein. Auf diese Tournee kommen sie übrigens akustisch, warum, weiß man nicht so recht, nur daß ein Live-Album dabei eingespielt werden soll, ist klar. Auch geklärt werden sollte die Frage, ob Ian Anderson sich immer noch so wohl fühlt in der Rolle des Hofnarren.

Am 11.5. um 20 Uhr im Metropoltheater, Friedrichstraße 101-102, Mitte

Wer Reggae mag, und ich meine hier den schönen altmodischen mit den positiven Vibrationen, mit den unverzichtbaren süßlichen Rauschschwaden, der mag ganz besonders Third World. Die waren schon immer die poppigsten und zuckrigsten, die lahmarschigsten und definitiv leichtverdaulichsten Protagonisten des Genres. Wer heute noch unbedingt so was hören muß, der soll es tun.

Am 13.5. um 20 Uhr im Tempodrom, In den Zelten, Tiergarten

Einmal Gruftie — immer Gruftie! Oder doch nicht? Love Grave aus Wien kommen vor lauter Wehren gegen das Vorurteil aus der Anfangszeit kaum zum Musikmachen. Dabei spielen sie mit Sicherheit inzwischen keinen puren Dark Rock mehr. Aber wer tut das denn überhaupt noch? Auf ihrer ersten Maxi You Always Want, die im Eigenvertrieb verkauft wurde, kommen sie ziemlich blaßblütig und dünn daher, was auch an der 8-Spur-Aufnahme liegen kann. Über reduzierten Gitarrenriffs und monotonen Schlagzeugrhythmen versucht mal ein unheilvoll dräuender, mal ein dämlich quäkender Synthie, dem Sound von Love Grave Eigenheiten einzublasen. Am aufregendsten sind noch die Geige und die zugegebenermaßen hübsch dunkle Stimme von Sänger Michael Noir (welch ein Pseudonym, ein Schelm, wer Falsches dabei denkt). Beides sorgt für die morbide Grundstimmung, die man als schon fast Nordeuropäer vom klischeebehafteten Wiener erwarten darf.

Am 14.5. um 22 Uhr im Knaack, Greifswalder Straße 224, Prenzlauer Berg und am 15.5. auf der Insel

Ähnliches Problem wie oben D.A.M.N. haben die Berliner Space Cowboys. Aber die sind so sehr Clowns, daß man es ihnen eigentlich nicht übelnehmen kann. All das Gehabe, das gnadenlose Sampling, die »motherfuckers«, der gewollte Ami-Slang tapern so krankhaft von Fettnäpfchen zu Fettnäpfchen, daß die Cowboys immerhin als gute Parodie durchgehen. Oder meinen die das etwa ernst? Mike V.A.M.P. ist ja nun auch dabei, weil seine Solo-Karriere so gar nicht losgehen wollte. Die Stetsons sind schon seit längerem zugunsten von Baseballmützen verschwunden, weil die Cowboys sich für keine doofe Mode zu blöde sind. Einigermaßen komisch ist es dann doch, dieses ganze Weltraum-Geseiere und der Versuch, die entsprechenden Samples aus dem einschlägigen audiovisuellen Bereich zu finden. Aber im großen und ganzen sind die Space Cowboys nur ein großes Raubbau-Syndikat — langweilig und zum Geldmachen geschaffen.

Am 14.5. um 20.30 Uhr im Loft, Nollendorfplatz, Schöneberg Thomas Winkler