Das Mini-Babel von Steglitz

■ Wo das Stadtbild zu wünschen übrigläßt (Teil 15): Der »Kreisel« wäre keine Silbe wert, erinnerte er nicht an geplante Investorenprojekte in der Innenstadt/ Chiffre für schlechte Architektur und Filz

Steglitz. »Wohlauf, laßt uns einen Turm bauen, dessen Spitze bis an den Himmel reiche, damit wir uns einen Namen machen.« (1. Moses 11) Zu den typischen Berliner Hochhäusern zählt der »Steglitzer Kreisel«. Das 30geschossige Betongewitter an der Schloßstraße, in dessen 126-Meter- Büroturm das Bezirksamt residiert, steckt noch heute — 25 Jahre nach Baubeginn — wie ein Stachel im städtischen Fleisch. »Kreisel« und Autobahntrasse, das klotzige »SI-Hotel« (Steglitz International) und das Parkhaus sowie der Busbahnhof haben eine Wunde zwischen Steglitz und Lichterfelde geschlagen. Der Solitär in kackbrauner Farbe und mit aggressiven Stahlprofilen degradiert die Architekturen des Schloßparktheaters, den Verkehrspavillon, das Rathaus oder die angrenzenden Nachkriegsflachbauten, ganz zu schweigen von den Wohnhäusern der Umgebung.

Die Geschichte des »Kreisels« ist ein Beispiel aus der Chronik der Berliner Bauskandale. Das vom Volksmund verspottete »Mini-Babel« für über 400 Millionen Mark entstand, als die Architektin Sigi Kressmann, Ex-Gattin des Kreuzberger Bürgermeisters, Mitte der 60er Jahre massiven Einfluß auf die Bebauung des Grundstücks nahm. Bereits vorhandene Pläne, die eine zweigeschossige Ladenzeile und eine Parkanlage auf dem Gelände vorsahen, landeten im Reißwolf. Statt dessen legte Sigi Kressmann eigene Pläne auf den Tisch — und erhielt den Bauauftrag. 1972 geriet der Kreisel in Finanzierungsschwierigkeiten, da die vorgesehenen Millionen nicht reichten. Öffentliche Gelder mußten »zugeschossen« werden, in deren Folge Politiker wegen des Verdachts der Untreue und Bestechlichkeit »abgeschossen« wurden. Bis 1979 erlebten die Steglitzer den Turm als Bauruine, ein Baustopp lähmte die Fertigstellung. Erst danach konnten »Wienerwald« und SI-Hotel einziehen. Die Gewinnerin des Turmbaus hieß Sigi Kressmann, 34 Millionen Mark soll ihr Honorar für Bau- und Ingenieurleistungen betragen haben.

Der Betonturm wäre keine Silbe wert, erinnerte er nicht an einige geplante Investorenprojekte in der Innenstadt. Wie beim Kreisel locken die Bauvorhaben mit dem Zauberwort »Funktionsmischung« aus Büros, Läden und Wohnungen die Politiker aus der Reserve, obwohl doch klar sein sollte, daß häßliche Implantate nicht zur Verlebendigung des Quartiers beitragen. Wer etwa im Kreisel einkauft, schaut, daß er schnell wieder herauskommt. Wer dort wohnt, macht, daß er auszieht. Ab 19 Uhr pfeift zugig der Wind um den Sockel. Schließlich ist die Verkehrsanbindung im Bauch des Hauses für U-Bahnen und Busse mehr ein Ort für Szenarien klassischer Horrorfilme. Der Kreisel, ein Zeichen in der Stadt, wie oft hören wir diese Leerformel, ist eher Chiffre für schlechte Architektur und Filz. Groteskerweise ist die Stadt dort am lebendigsten, wo solcherlei Stadtplanungen noch nicht zugeschlagen haben. Rolf R. Lautenschläger