KOMMENTAR
: Ideologische Scheuklappen helfen Junkies nicht weiter

■ Weil der Senat bei der Drogenproblematik untätig bleibt, gehen die Bezirke auf die Barrikaden

Acht- bis zehntausend Drogenabhängige leben in dieser Stadt. Nicht einmal die Hälfte von ihnen ist laut einer Studie der Berliner Aids-Hilfe gewillt, eine Therapie zu machen. Statt dessen wünschen sie sich mehr Kontaktläden, Methadon, Druckräume. Was in den dritten Stock der Jugendverwaltung zu Herrn Penkert offensichtlich nicht durchdringt, haben jetzt die Bezirksstadträte begriffen. Sie haben sich parteiübergreifend in einer Arbeitsgemeinschaft organisiert und machen von unten mobil gegen die unflexible Drogenpolitik des Senats. Im Gegensatz zu den ideologiebefangenen Herren Senatoren sehen sie noch mit gesundem Menschenverstand, was Drogenabhängigkeit in Berlin bedeutet. Vor ihren Türen betteln die Junkies um ein paar Mark für den nächsten Druck, brechen vor Schwäche zusammen, setzen sich auf den Toiletten in den Bezirksämtern einen Schuß.

Dank der engen Zusammenarbeit mit Drogenberatern und Sozialarbeitern wissen die Bezirksstadträte, was Penkert anscheinend nicht weiß: daß Drogensucht mit missionarischem Therapeuteneifer oft nicht beizukommen ist und Junkies, die, aus welchen Gründen auch immer, nicht clean werden wollen oder können, in dieser Stadt jämmerlich auf offener Straße verrecken. Den Stadträten geht es nicht um politische Programme, sondern um die Menschen in ihrem Bezirk.

Bei aller zu erwartenden Ablehnung der Forderungen aus den betroffenen Bezirken müßte der Senat zumindest eines wissen: Viele der gestern vorgetragenen Vorschläge sind in Hamburg und Bremen längst offizielle Politik. Auch in Berlin wird von bezirklichen Stellen manches davon praktiziert — allerdings unter der Hand: aus humanitären Gründen, freiwillig und unentgeltlich. Gesundheitssenator Peter Luther hat dazu allerdings noch nie ein Wort verloren. Nun wird ihm eine Stellungnahme nicht erspart bleiben. Acht- bis zehntausend kranke Menschen in dieser Stadt sind sein Klientel. Wenn der Landesdrogenbeauftragte, in welcher Person auch immer, seinem Auftrag gerecht werden soll, sich für die Belange Drogenabhängiger in dieser Stadt einzusetzen, gehört er unter das Dach des Herrn Luther. Aber solange der falsche Mann am falschen Platz in der falschen Verwaltung sitzt, bleibt der Landesdrogenbeauftragte eine Alibi-Veranstaltung. Jeannette Goddar