Bezirke machen eigene Drogenpolitik

■ Stadträte wollen, daß die Drogenhilfe der Kompetenz der Jugendverwaltung entzogen wird/ Drogenbeauftragter sei mit Abstinenz-Konzept gescheitert

Berlin. Weil der Senat die wachsenden Drogenprobleme nicht in den Griff bekommt, machen jetzt die betroffenen Bezirke für eine andere Drogenpolitik mobil. Als Kernpunkt ihres gemeinsamen Forderungskatalogs wollen Stadträte aus den vier Innenstadtbezirken Kreuzberg, Tiergarten, Schöneberg und Charlottenburg die Drogenhilfe in Person des Landesdrogenbeauftragten von der Jugend- in die Gesundheitsverwaltung verlegen.

Das auf Abstinenz fixierte Konzept des Drogenbeauftragten Wolfgang Penkert habe bereits Ende der 70er Jahre seine Grundlage verloren, begründete der Kreuzberger Jugendstadtrat Helmut Borchardt (SPD) die Notwendigkeit eines neuen Wegs. »Wir sehen in Kreuzberg vor unserer Tür, daß es so nicht weitergeht.« Die gesundheitliche Verfassung der Junkies sei so desolat, daß schleunigst gehandelt werden müsse.

»Die Gesundheitsverwaltung freut sich doch, daß Herr Penkert beim Jugendsenator sitzt und sie mit den Mißständen nichts zu tun hat«, so Eva Luber (AL), Gesundheitsstadträtin aus Schöneberg. Mit der bisherigen »inhumanen Drogenpolitik« würden acht- bis zehntausend Menschen in Berlin aus dem Gesundheitshilfesystem ausgegrenzt. »Wir müssen endlich Bedingungen schaffen, in denen Süchtige nicht von Tag zu Tag kränker werden, weil nicht akzeptiert wird, daß sie abhängig sind und möglicherweise auch bleiben«, so Annette Schwarzenau (AL), Gesundheitsstadträtin von Charlottenburg.

Nach Aussage des Drogenberaters Andreas von Blanc könnte ein großer Teil der 240 BerlinerInnen, die im vergangenen Jahr an übermäßigem Drogenkonsum starben, noch am Leben sein, wenn sie rechtzeitig medizinische Hilfe bekommen hätten. Eine medizinische Versorgung von Drogenabhängigen sei aber kaum gewährleistet.

Viele Ärzte und Krankenhäuser wiesen Junkies generell ab, so von Blanc, außerdem türmten Süchtige reihenweise aus den Kliniken, sobald die Entzugserscheinungen einsetzten. Polamidon sei dort kaum zu bekommen.

Doch die Versorgung krankt auch an den Kompetenzen der Bezirke. So sind die bezirklichen Gesundheitsdienste weder dazu befugt noch finanziell dafür ausgestattet, Drogenabhängige zu behandeln. So dürften die Amtsärzte zwar die Geschlechtsorgane drogenabhängiger Prostituierter routinemäßig untersuchen, erläuterte Luber, nicht aber ihre Abzesse behandeln. »Diese Arbeitsteilung ist absolut unmenschlich.«

Die Stadträte fordern deshalb die Einrichtung von Gesundheitsräumen in Berlin, wo Junkies sich streßfrei unter hygienischen Bedingungen einen Schuß setzen und medizinisch versorgt werden könnten, sowie mehr Spritzenautomaten und Entgiftungsbetten. Zur Zeit gibt es in Berlin ganze 30 Betten, die in der Regel nur an Therapiewillige vergeben werden. Die Methadon-Vergabe soll von 400 auf 1.500 Plätze ausgeweitet werden. Außerdem unterstützen die Stadträte die Bundesratsinitiative von Bündnis 90/ Grüne, den Drogengebrauch zu entkriminalisieren und die Substitution rechtlich abzusichern. jgo