Die Flucht in die heillose Offensive

■ Werder Bremen schlägt in Lissabon den AS Monaco, ohne es richtig zu wollen, mit 2:0, wird Europapokalsieger der Pokalsieger, und Manager Willi Lemke leistet sich endlich neue Briefbögen

Berlin (taz) — Ende der 70er begann das Zeitalter der 1:0-Siege in Europapokalendspielen der Landesmeister. Vorzugsweise englische Teams brachten — mit mehr Glück als Können gesegnet — ihre Siege glanzlos nach Hause. Geprägt von übervorsichtiger Taktik schoben die jeweiligen Kontrahenten so kontrolliert den Ball innerhalb der eigenen Reihen hin und her, daß selten etwas entstand, was man ein Ballspiel hätte nennen können. Immerhin war zu erahnen, daß sich zwei Mannschaften gegenüberstanden, die durchaus in der Lage gewesen wären, Besseres zu bieten, wenn sie nicht die Angst vorm Verlieren und die berühmten taktischen Zwänge völlig paralysiert hätten.

Das ist heute anders. Die sogenannte europäische Spitze hat zwar immer noch Angst vorm Verlieren, aber flüchtet sich manchmal völlig verwirrt in eine heillose Offensive, die nur offenbart, daß die Beine selten so laufen und treten, wie der Kopf es will. Auch der AS Monaco und Werder Bremen übten sich beim Endspiel im Europacup der Pokalsieger in Lissabon in der hohen Kunst des planlosen Drangs nach vorn. Als hätten sie es vorher gewußt, blieben die Portugiesen zu Hause. Gerade mal 15.000 Zuschauer verloren sich im 120.000 Plätze fassenden Stadion, davon 5.000 aus Bremen und 7.000 aus Monaco.

Dabei hatte alles so hoffnungsvoll begonnen. Die absolut erste Aktion der Bremer sofort nach Anstoß war eine makellos saubere Kombination über drei Stationen ins eigene Toraus. Der folgende Eckball brachte die erste Chance für Monaco. Zehn Minuten später standen bereits sechs brüderlich geteilte Eckbälle und ebensoviele halbgare Torgelegenheiten zu Buche, die auf einen unterhaltsamen Abend hoffen ließen. Denn merke: Nur wer Fehler macht, kann verlieren, beziehungsweise: Nur ein fehlervolles Spiel ist ein gutes.

Ausnahmen bestätigen — glaubt man dem Sprichwort — Regeln. Nach diesen ersten zehn Minuten, in denen Monaco flott kombinierte und Bremen, allen voran Uli Borowka, mit eindrucksvollen Befreiungsschlägen über dreiviertel des Feldes glänzte, paßten sich die Fürstentümler dem Niveau der Werderaner an, was ihnen traurigerweise fast vollständig gelang. Fortan fand das Spiel vorzugsweise in den beiden engen Streifen vor den Strafräumen statt, und die zwei Mannschaften kreierten eine Novität dieser ehrfurchtsvoll alten Sportart: ein Spiel ohne Mittelfeld und Angriff, dafür mit großem Mittendrin. Perfekt war einzig die Abwehrarbeit, vor allem die der Bremer, und es wurde schnell klar, daß die offiziell drei Stürmer, die Trainer Rehhagel aufgeboten hatte, nur Augenwischerei waren.

Gelegentlich stolperte sich dann doch einer durch, schlug ein anderer über den Ball, mutierte ein Preßschlag unverhofft (kommt oft) zum Paß, und ab und zu kullerte der Ball tatsächlich Richtung Tor, damit die Torleute sich nicht gar zu ausgeschlossen fühlten. Nichts änderte sich über lange Zeit, auch in der 41. Minute blieb alles beim alten, nur hatte das ledrige runde Ding plötzlich Kontakt zum Tornetz, ohne daß irgendjemand tatkräftig geholfen hätte. Ein gnadenlos gedankenverlorener Kopfball von Rufer in den Strafraum genau zwischen zwei Monegassen, die nicht bemerkten, daß Klaus Allofs zwischen ihnen stand. Der Linksfüßler nahm den rechten Fuß, und nicht mal der Ball wehrte sich gegen diese ehrenrührig zielgerichtete Aktion. Bremen führte fünf Minuten vor der Pause mit 1:0.

Mit dem Wiederanpfiff begann die Abwehrschlacht, was dem Geschehen auf dem Rasen kein sonderlich anderes Gesicht gab. Nur kurz unterbrochen wurde das Gekicke mit respektvollem Abstand von der Gefahrenzone durch das zweite Tor, dem — wie konnte es anders sein — ein Fehlpaß vorausging. Allofs übertölpelte mit einem simplen Steilpaß Viererabwehrkette und Abseitsfalle, und Wynton Rufer spielte Torwart Ettori aus. Die technisch profilierteste Aktion der zweiten Halbzeit war eine Rolle seitwärts samt Ball und ohne Not von Werders Ersatz-Torsteher Jürgen Rollmann. Ansonsten führten die Bremer vor, daß man nicht in der Lage sein muß, drei Stationen lang den Ball völlig gewollt und bewußt in den eigenen Reihen zu halten, um Europokalsieger zu werden. Oliver Reck hätte sich ohne Zweifel wohlgefühlt.

Otto Rehhagel glaubte hinterher, „ein ganz großes Spiel gesehen“ und „die Ehre der Bundesliga gerettet“ zu haben, Monacos Trainer Arsène Wenger erkennt dagegen ein „durchschnittliches Europacup-Spiel“, wenn er eines sieht. Die grün-weißen Fans in Lissabon sangen „Wir scheißen auf Berlin“, die in Bremen vor der größten Videoleinwand Europas versammelten 8.000 gaben sich weniger Mühe: „Attacke, Sieg“. Fürst Rainier und Sohnemann Albert, beide Mitglieder des AS Monaco, werden traurig sein, und Bremens Manager Willi Lemke kann sich nun endlich seinen größten Wunsch erfüllen: Neue Briefbögen mit „Europapokalsieger“ drauf drucken lassen. Thomas Winkler

AS Monaco: Ettori - Valery (62. Djorkaew), Petit, Mendy, Sonor - Dib, Barros, Passi, Gnako - Weah, Fofana (59. Clement)

Tore: 1:0 Allofs (40.), 2:0 Rufer (55.); Schiedsrichter: Dyelia (Italien); Zuschauer: 15.000

Werder Bremen: Rollmann - Bratseth - Wolter (34. Schaaf), Borowka - Bockenfeld, Votava, Eilts, Neubarth (75. Kohn), Bode - Rufer, Allofs