Mit didaktischer Harke

■ Kino-Premiere: »Annäherung: Walter Reuter, Filmemacher und Fotograf im Exil«

Was sagt man zu einem Film, bei dem man schon froh sein muß, daß er überhaupt zustande kam? Das ist der Fall bei Lothar Schusters dürftigem Rohschnitt (dem anscheinend noch der verquere Arbeitstitel anklebt), an dem einzig und allein die Person des Porträtierten interessiert. Die allerdings hat es in sich. Vor einem halben Jahrhundert kehrte Walter Reuter Deutschland den Rücken, um auf abenteuerlichesten Pfaden schließlich nach Mexiko zu gelangen. Ein Vagabund ist der heute 86jährige im Grunde seines Herzens noch immer, auch wenn er mit der Zeit im geliebten Land der Maja und Azteken heimisch wurde.

Mit 18 wird der 1906 in Charlottenburg geborene Reuter vom konservativen Vater kurzerhand rausgeschmissen, der die linkspolitischen und avantgardistischen »Flausen« des Sohnes satt hat. Ende der zwanziger Jahre setzt ihn die Firma vor die Tür, weil er die Belegschaft gegen die Niederschlagung der Mai-Demos mobilisiert. Arbeitslos und auf der schwarzen Liste schafft sich der Ex-Reprofotograf eine gebrauchte Kamera an und hat auf Anhieb Erfolg. Die ‘Arbeiter Illustrierte zeitung' veröffentlicht Reuters neuartige sozial und politisch motivierte Bildreportagen, die ihn kurze Zeit später zwingen, unterzutauchen. Nach dem Reichstagsbrand 1933 entschließt er sich mit seiner jüdischen Freundin Sulamith zur Flucht, die bis nach Andalusien führt. Im spanischen Bürgerkrieg kämpft er in der Volksfront, zunächst mit der Waffe, dann als »Soldat mit der Kamera«.

Der Sieg der faschistischen Falange zwingt ihn zur Flucht nach Frankreich. Reuter wird interniert, kann sich nach Marokko absetzen, wird dort neuerlich interniert und schafft am Bau der Transsahara-Eisenbahn. Auch von hier glückt der Ausbruch, und Reuter erreicht in letzter Minute den rettenden Dampfer nach Casablanca — auf dem ihn Sulamith erwartet.

Kurz nach der Ankunft 1942 im mexikanischen Hafen von Veracruz wird das Paar restlos ausgeraubt und muß — wieder einmal — völlig von vorne anfangen. Mit den parteigebundenen Hilfskomitees hat der Exilant Reuter nichts am Hut, am allerweinigsten mit den Kommunisten, die er seit dem gnadenlosen Vorgehen im spanischen Bürgerkrieg verabscheut. Ende der vierziger Jahre beginnt der Autodidakt, der sich bis dahin mit geliehener Kamera und Gelegenheitsjobs über Wasser gehalten hat, für Wochenschauen und unabhängige Dokumentarfilmproduktionen zu arbeiten. Filmgeschichte machte er mit dem legendären Episodenfilm Raices (»Wurzeln«, 1953) von Benito Alazraki, der erstmals authentisch den Konflikt zwischen Indios und weißer Oberschicht schildert. Ein weiterer Spielfilm, El brazo fuerte (»Der starke Arm«, 1958, Regie: G. Korporal), blieb wegen seiner zugespitzten Kritik am korrupten Kazikenwesen zwei Jahrzehnte unter Verschluß. Die Krankheit seiner indianischstämmigen Frau Ana (die er nach dem frühen Tod Sulamiths heiratete) zwang ihn, in den sechziger Jahren die eigene Filmarbeit aufzugeben und zur weniger kostspieligen Fotografie zurückzukehren. Seine besondere Liebe gilt seitdem den Triques, einem kleinen Volk in den Bergen von Oaxaca.

In Deutschland geriet Walter Reuter — anders als die meisten der aus mexikanischem exil heimgekehrten Künstler wie Anna Seghers oder Walter Janka — mit den Jahren fast völlig in Vergessenheit. Eine Ausstellung in der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst machte vor zwei Jahren erstmals wieder auf Leben und Werk des nomadisierenden Einzelgängers aufmerksam. Eine Biografie unbändiger Lebenslust, von der sich die ungeduldige und ungeschickte »Annäherung« durch Lothar Schuster (der damals zu den Ausstellungsmachern zählte) leider kein Bild macht. Bewundersnwert der Charme, mit dem Reuter die törichte Ausfragerei und Anbiederei durch den Kommunikationswissenschaftler wegsteckt. Der aber bürstet die verschlungenen Lebenspfade didaktisch aus und stellt das Abenteuer eines ungebundenen Lebens auf gesellschaftspolitische Gemeinplätze ab. Da muß es im Klub der Intellektuellen durchaus multikulturell hergehen, wird in der Küche des indianischen Nachbarn die Wirtschaftspolitik der Gringos gebrandmarkt und die Jung-Indios haben am importierten Basektball angeblich nur deshalb ihren Spaß, weil es an ein aztekisches Ballspiel erinnere.

»So viele Jahre, so viele Geschichten, so viele Bilder« heißt es im vollmundigen Kommentar. Dazu allerdings brauchte es einen Könner vor und hinter der Kamera. Warum nicht Walter Reuter? Roland Rust

Annäherung: Walter Reuter, Filmemacher und Fotograf im Exil Regie: Lothar Schuster, Kamera: Wolfgang Jung, Produktion: Film/Video-Coop in Koproduktion mit dem SDR. 16 mm, Farbe, 80 Min. Ab 7. Mai täglich in der Filmbühne am Steinplatz.