Hallo, bitte, nein danke

Das neue Buch der Linguistin Senta Trömel-Plötz: eine verbitterte, eine ungenaue Abrechnung.  ■ Von Mirjam Schaub

Auch das noch! Kohls bester Mann geht. Und für ihn kommt eine Außenministerin“ lautete am 28. April die Schlagzeile der Münchner 'Abendzeitung‘. „Genscher dankt ab — Neuer Außenminister: Frau Schwaetzer“ nannte es die 'Berliner Morgenpost‘. Was hier die Suggestion besorgt, erreicht dort die sprachliche Ungenauigkeit. Irmgard Schwaetzer ist nicht der neue Außenminister, und das „Frau“ hat in der Schlagzeile nichts verloren. Die Botschaft ist in beiden Fällen eindeutig: Mit der Frau kann es nicht weit her sein! In diesem Sinn reagiert auch das Boulevardblatt 'BZ‘. Die Bildunterschrift lautet nicht „Genscher geht. Schwaetzer kommt“, was linguistisch betrachtet Gleichrangigkeit bedeuten würde, sondern „Genscher geht. Sie kommt.“ Nicht, weil ihr Gesicht in der Öffentlichkeit bekannter als das seine wäre, sondern weil die Oberzeile „Müssen wir jetzt Angst haben?“ plausibel sein muß. Grund der Stimmungsmache: die Tatsache, daß „der Neue“ eine Frau ist.

1984 enttarnte Senta Trömel- Plötz in ihrem Sammelband Gewalt durch Sprache. Die Vergewaltigung von Frauen in Gesprächen als erste deutsche Wissenschaftlerin die ganz alltägliche Herabsetzung, Entwürdigung und Verleugnung, die Frauen durch die Sprache widerfährt. Trömel-Plötz' Forschung ging und geht von der einfachen Annahme aus, daß Geschlecht zählt. Daß geschlechtsspezifisches Gesprächsverhalten kein zufälliges, äußerliches, unwichtiges Phänomen ist — und auch kein „Nebenwiderspruch“ —, sondern Frauen systematisch, dauerhaft und tiefgreifend abwertet. Frauen sollen hallo, danke, bitte, auf Wiedersehen sagen, anderenfalls müssen sie damit rechnen, Zicke, Fotze, Möse, Schnalle, Schlampe genannt zu werden. Ein klassischer Fall von Diskriminierung?

Die deutsche Sprache (Männer sagen „Muttersprache“) ist, darüber klärt das Buch auf, eine heilige Kuh, die wie so manches, was Männer wirklich schätzen, unangetastet, jungfräulich bleiben muß. Sexistische Sprache „unterläuft“ Männern wie Frauen, bleibt meistens unbemerkt. Die Deutschen jaulen erst auf, wenn die Formdrucke des Berliner Senats zu rot-grünen Zeiten das große „I“ oder den Schrägstrich „/innen“ anbieten, das „man“ durch ein „frau“ ergänzt wird. Da wird unser Sprachempfinden mobilisiert, da werden wir richtig subtil.

Vergewaltigung durch Sprache von Senta Trömel-Plötz ging 1984, wie im Vorwort angekündigt, erst unangenehm, dann heilsam „unter die Haut“. Neugierig geworden und bewaffnet mit dem im selben Jahr erschienenen Buch Das Deutsche als Männersprache von Luise F. Pusch, las man sich durch die linguistischen Analysen der femininen oder maskulinen Archilexeme (z. B. Gattungsbegriff Katze statt Kater), der attributiven Geschlechtsspezifikation (die weiblichen Angestellten) und der Pseudo-Geschlechtsneutralisation (der Angestellte), um schließlich das Lachen über die eigene sexistische Sprache durch die egalitäre wieder zu lernen. Das Ermannen geriet zum Erweiben, der Mensch zum Wibsch, das Herrschen zum Frauschen, aus O Gott! wurde O Göttin!, aus dem Hoden der Schambeutel, aus der Westen- die Kitteltasche...

Unter dem Titel Vatersprache. Mutterland. Beobachtungen zu Sprache und Politik hat Senta Trömel-Plötz acht Jahre später ein neues Buch veröffentlicht. In diesen acht Jahren ist aus ihrer präzisen Kritik Bitterkeit geworden, aus ihrer wissenschaftlichen Forschung ein populärwissenschaftlicher Aufguß, der ohne Empathie in grenzenlos gekränkte Eitelkeit nicht genießbar ist.

„Meine hochbegabten Studentinnen — was ist aus ihnen geworden?“ fragt Senta Trömel-Plötz in ihrem Kapitel über den systematischen Ausschluß von Frauen an der deutschen Universität. Sie berichtet vom Freitod der Hamburger Historikerin Sigrid Matzen-Stöckert, den Hungerstreiks der Politikwissenschaftlerin Hannnelore Schröder um angemessene Bezahlung, der Demontierung der Münchner Juristin Ethel Behrendt — dem Schicksal all jener Frauen, die hochqualifiziert sind, „ehrlich, konsequent, zuverlässig, klug, integer“. Trömel-Plötz denunziert die mittelmäßigen Männer in den Berufungskommissionen, die garantiert eine Begründung (zu alt/zu jung; zu viel/zu wenig publiziert etc.) dafür finden, qualifizierte Frauen von der Lehre abzuhalten.

Das alles ist richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Frauen, die sich in irgendeiner Form mit feministischer Forschung auseinandersetzten, werden an der Universität gleichzeitig ein- und ausgeschlossen. Ein Beispiel: Vor einem Jahr wurde an der Freien Universität Berlin aus einem Sonderfonds zur Frauenförderung eine C1-Stelle (zwecks Habilitation) für „Philosophische Frauenstudien“ ausgeschrieben. Eine ausschließlich mit Frauen besetzte Auswahlkommission nominierte mehrheitlich eine Wissenschaftlerin an erste Stelle, die mit ihrer Kritik ins „Herz der Philosophie“, in die Aristotelische Logik zielte. Der von Männern dominierte Institutsrat entschied sich mit dem Argument, hier stünden „Hitzliputzlis“ auf dem Plan, gegen die Kandidatin Käthe Trettin. Man vergab die Stelle an eine Wissenschaftlerin, die bislang eher im klassisch-soziologischen Sinn Frauenforschung („Der Märtyrerinnenkomplex“) betrieben hatte. Es ist für Frauen heute kein Problem, Frauenreservate im Wissenschaftsbetrieb zu besetzen. Die Schwierigkeit liegt darin, als feministische Wissenschaftlerin in klassischen Männerdomänen (wie z.B. Logik, VWL, Jura) Anerkennung zu finden.

Welcher Strategien müssen Frauen sich bedienen, um die Aufmerksamkeit der sie gering schätzenden Männer zu gewinnen? Senta Trömel-Plötz versucht in ihrem Kapitel „Risse im patriarchalen Diskurs“ zu zeigen, daß Frauen darum bemüht sind, sich im Gespräch „anschlußfähig“ zu halten. Dieses „Joining“ im Sinne von „Ja, aber“, „Ja, und“, „Ja, stimmt“-Bemerkungen ist für die Linguistin weder Ausdruck von Unsicherheit noch besonderer Raffinesse, sondern Zeichen der sprachlichen Kompetenz: Frauen nehmen auf ihre GesprächspartnerInnen häufiger persönlichen Bezug, stellen direkten affektiven Kontakt her, treten Macht ab, lassen andere ausreden. Aus all diesen Gründen sind Frauen als Interviewerinnen „gefürchtet“, sie „entlocken“ Männern oft Ungewolltes, lange Ungesagtes. Frauen führen Gespäche, keine Debatten.

Das liest sich flüssig, klingt irgendwie plausibel... und lebt am Ende nicht von der Schärfe feministischer Sprachkritik, sondern von ganz normaler Suggestion. Denn: Sämtliche Thesen zur Sprache sind in Gewalt durch Sprache akkurater, detaillierter nachzulesen. Wenn Senta Trömel-Plötz in ihren „neuen“ Kapiteln zum Thema überhaupt Literatur zitiert, dann stammt sie bis auf eine Ausnahme aus den Jahren 1978 bis 1980. Das Vorhaben, für heute gültige Allgemeinurteile auf der Basis von acht Jahre alten Diskursanalysen zu fällen, ist — in den Wanderdünen der „Sprachkonvention“ — schlichtweg ignorant. Ergiebiger wäre es, Senta Trömel-Plötz verzichtete hier auf den Objektivitäts- und Beweisanspruch und schriebe statt dessen eine gute Polemik. Aber dazu fehlt der Linguistin wenn nicht die Kraft, so doch der Wille.

Sie will eine Abrechnung ohne Bestandsaufnahme. Was immer sie sieht, gerät ihr zur himmelschreienden Unterdrückung der Schwachen. Sie listet ihre länderübergreifende Erfahrung mit Kinderkrippen, Kindergärten, Volkschulen und Highschools auf, um die These zu erhärten, Kinder, die ihren Vätern „überlassen“ wären, müßten „sterben“. Im Abgesang „Der Tod der Frau im Mann“ löscht Trömel-Plötz folgerichtig die letzte Verheißung einer Geschlechterversöhnung aus ihrem Denken. Nicht nur, daß alle 18 Sekunden eine Frau von einem Mann geschlagen, alle 3 Minuten von einem Mann vergewaltigt wird, nein, „Der Tod einer Frau ist so unbedeutend wie der Tod eines Huhns.“ Die Linguistin zitiert und variiert das chinesische Sprichwort dreimal, als enthielte es noch irgendeine Zweideutigkeit.

Vatersprache. Mutterland ist ein verbittertes Buch. Senta Trömel- Plötz (1984 wurde ihre C2-Professur an der Uni Konstanz nicht verlängert) beharrt auf dem Standpunkt, feministische Linguistik in Deutschland sei mit ihrem Weggang in die USA nur noch waste land. Sie ignoriert damit die Arbeiten von Bettina Strewes, Susanne Günthner, Ruth Groth, Ruth Wodak, Elisabeth Andraschko, Caja Thimm, Helga Kotthoff, Claudia Fuchs, Marlis Hellinger, Gisela Brandt und anderen Linguistinnen. Trömel-Plötz hat keine Chance mehr, die Schlagzeile der letzten Woche umzuschreiben: „Schwaetzer dankt ab — Neue Außenministerin: Herr Kinkel.“

Senta Trömel-Plötz: Vatersprache. Mutterland. Beobachtungen zu Sprache und Politik. Verlag Frauenoffensive, München; 200 Seiten, 28,50DM.

Dieser Artikel wurde in der Literataz vom Donnerstag in grafisch unakzeptablem Zustand abgedruckt. Wir entschuldigen uns bei der Autorin und bei den LeserInnen.