Europa versteckt sich hinter dem Rücken von George Bush

■ Bush liefert den Europäern eine hervorragende Entschuldigung fürs Nichtstun/ Bangemann und andere EG-Kommissare blockieren die EG-weite Energiesteuer

Es ist vollbracht: Hinter dem breiten Rücken George Bushs können die großen Industrienationen, allen voran die Europäer, ein klimapolitisches „business as usual“ einläuten. Auch sie müssen ihre Politik nicht ändern, haben eine hervorragende Entschuldigung fürs Nichtstun.

Das „worst-case-szenario“ von New York zeichnete sich in der vergangenen Woche bereits deutlich ab: Bush fliegt nach Rio, und die Marshall-Inseln gehen unter. Während im UN-Hauptquartier die Delegierten aus 130 Ländern 11 Stunden am Tag um eine Klimakonvention verhandelten, handelten die Gegner globaler Klimapolitik in Brüssel. Einige EG-Kommissare blockierten die geplante EG-weite Energiesteuer, die weltweit als vorbildlich angesehen wird. Der Gemeinschaft fehlt damit das Hauptinstrument, um den europäischen Heizofen im Treibhaus Erde herunterzudrehen.

An der Spitze der Fronde gegen die Energiesteuer stand der deutsche Industriekommissar Martin Bangemann, aber auch der britische Wettbewerbskommissar Leon Brittan und der Franzose Christian Scrivener sprachen sich gegen die Steuer aus. Drei Dollar je Barrel Öl (159 Liter) sollten die Europäer zu Anfang berappen, und bis zur Jahrtausendwende sollte der Klima-Obulus auf 10 Dollar pro Barrel steigen. Zu viel für die Industrie: Damit würde die Konkurrenzfähigkeit der Europäer unterminiert, so die Brüsseler Wirtschaftsstrategen.

Vor allem Bangemanns Bonner Parteifreund Jürgen Möllemann ist jetzt fein raus: Im Winter hatte Möllemann den Vorstoß des Ministerkollegen Klaus Töpfer (CDU) für eine deutsche Energieabgabe mit dem Hinweis auf die Brüsseler Steuerpläne gestoppt. Und jetzt betreibt Ex-FDP Wirtschaftsminister Bangemann das Geschäft des Möllemann in Brüssel. Die europäischen Energie- und Chemielobby setzt schon seit Monaten Himmel und Hölle in Bewegung, um die Energiesteuer zu Fall zu bringen. Den Umweltpolitikern in Japan und den USA aber ist mit der neuen Wendung bei der EG das Vorzeigebeispiel genommen, mit dem sie ihre eigenen Regierungen für eine wirkliche Klimaschutzpolitik hätten motivieren können.

In Europa selbst ist die Wende bei der EG weitgehend untergegangen, allzusehr war das Interesse auf den Weltreisenden Bush konzentriert. Anders aber im New Yorker UN- Hauptquartier: Am Tag nach dem Auftritt der EG-Fronde gegen das Klima legte der Vorsitzende der New Yorker Vorbereitungskonferenz ein neues „Kompromißpapier“ für die Klimakonvention vor. Der Franzose Jean Ripert präsentierte eine Konvention, die keine bindenden Verpflichtungen zur Eindämmung der Treibhausgase mehr enthielt. Kurz darauf verkündeten die „Partner in Leadership“ aus Bonn, daß der US- Präsident sein persönliches CO2- Konto nun doch mit einer Reise nach Rio zu belasten gedenke. Bundespräsident Richard von Weizsäcker brachte aus den USA die Botschaft mit: Bush fährt, aber er wird sich zu nichts verpflichten.

Wenigstens erwähnt werden soll, daß nicht nur die Industriestaaten ihr eigenes Süppchen kochen, auch die Ölstaaten, allen voran Saudi-Arabien, glänzen mit immer neuen Schachzügen. So hatten die Saudis zum Beispiel die in der G-77 zusammengeschlossenen Entwicklungsländer überzeugt, daß erneuerbare Energien in der Konvention an zentraler Stelle keine Aufnahme finden müßten. Und es waren auch die Saudis, die in der Präambel der Konvention verankern wollten, daß Staaten, die „besonders von fossilen Brennstoffen abhängen“, von der Konvention ausgenommen werden. Solche Ausnahmen sind jetzt wohl nicht mehr nötig.

Nicht nur in Brüssel beweisen die anderen Industriestaaten, daß sie den Amerikanern an Ignoranz und Stiernackigkeit in Umwelt- und Entwicklungsfragen nur wenig nachstehen. Das vor Jahrzehnten von der UNO festgelegte Ziel, 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukt für Entwicklungsländer bereit zu stellen, wird auch weiterhin souverän ignoriert. Der deutsche Beitrag ist nach der Vereinigung auf unter 0,4 Prozent gesunken. Deutschland ist damit nicht die Ausnahme: Die Industrieländer beschlossen auf einer Sitzung bei der Weltbank, daß für den Umweltplan von Rio, die sogenannte „Agenda 21“, bis zum Jahr 2000 maximal 100 Milliarden Dollar zur Verfügung stehen sollen. Ein Zehntel der Summe, die UNCED-Präsident Maurice Strong für nötig gehalten hatte: 125 Mrd. Dollar im Jahr.

Auf dem Weg nach Rio belasten Journalisten, Delegierte und Politiker ihr persönliches CO2-Konto ganz erheblich. Wenn 20.000 Menschen im Schnitt 10.000 Flugkilometer zum Gipfel zurücklegen, macht das einen Kerosinverbrauch von 8 Millionen Litern und 20.200 Tonnen CO2 zusätzlich aus. Pro Kopf eine reichliche Tonne, oder genausoviel wie ein Einwohner eines Entwicklungslandes im Jahr verbraucht. Doch sie können weiterfliegen: Eine Nasa-Studie ergab, daß von den Marshall-Inseln im Jahr 2022 noch zwei Reste übrig bleiben werden — der Flughafen und das Regierungsviertel. Hermann-Josef Tenhagen