Durchschnittskicker — Wundercoach

■ Der erstaunliche Karrieresprung des Oldenburger Trainers Wolfgang Sidka

An einem tristen Tag im Oktober 89 setzte sich Wolfgang Sidka an seinen Schreibtisch und breitete alle Fußballtabellen vor sich aus, von der Bundesliga bis zu den Amateuren. Sidka, ehemals Profi bei Werder Bremen, hatte gerade das Traineramt beim Oberligisten VfB Oldenburg übernommen, in der Absicht, den siechen Traditionsverein an neue sportliche Höhen heranzuführen. „Ich habe mir die Tabellen genommen und mal überschlagen, wo wir stehen“, erinnert er sich. Ergebnis der Rechenspiels: „Irgendwo zwischen Platz 130 und 140.“

Sidka machte sich ans Werk, und das Werk gedieh. Die blau- weißen Niedersachsen wurden Meister in der Oberliga und kletterten in die Zweite Liga. In diesem Jahr schafften sie die Playoff- Runde zur Bundeliga und kickten dortselbst so wacker, daß sie lange als Anwärter auf den Aufstieg gehandelt wurden. Wolfgang Sidka, der Erfolgstyp? — „Im Moment sieht es so aus!“

Ein ungewohntes Gefühl für den langen Blonden — als Spieler war er keine große Nummer. Bei Werder standen die Herren Rehhagel, Meier, Völler in der Hierarchie weit über ihm. Mit letzterem war er 82 von 1860 München an die Weser gewechselt, „im Paket“, wie es in der Fußballersprache heißt. Dessen Inhalt war den Experten von vorneherein klar: Völler, der aufstrebende Goalgetter, war die Hautsache, Sidka nicht mehr als eine Beigabe, abgestaubt aus der Konkursmasse der Münchner. Zwar war das ein Fehlurteil, denn Otto Rehhagel hatte Sidka bereits für sein Mittelfeld auserwählt, „als an einen Wechsel von Rudi Völler noch gar nicht zu denken war“ (Sidka). Doch während Rudi im folgenden zum Nationalspieler und Star aufstieg, blieb Sidka, was er immer war: ein Mitläufer.

Zudem einer, der wenig Glück hatte im Kampf um den sportlichen Lorbeer. Kurzer Rückblick: Mit Hertha BSC zweimal zweiter Sieger im Pokal, einmal Vizemeister, einmal Dritter. Mit 1860 zuerst Abstieg aus der ersten, dann Lizenzentzug in der zweiten Liga. Mit Werder Bremen dreimal Vizemeister. Als die Bremer endlich Champion wurden, war Sidka — von Verletzungen geplagt — längst in seine Geburtsstadt zurückgekehrt, zu Tennis Borussia nach Berlin.

Es hat immer nur zum Zweiten Platz gereicht

„Ich hab' oft oben mitgespielt“, sagt Sidka, „aber es hat halt immer nur zum zweiten Platz gereicht.“

Anders in Oldenburg. Seitdem Sidka an der Seitenlinie steht, geht es bergauf. Gefragt nach den Gründen, flüchtet sich der Wundertäter gern in trainertypische Gemeinplätze. „Identifizieren muß man sich mit der Aufgabe, völlig reinknien muß man sich.“ Oder: „Im Fußball ist man mal oben und mal unten, da lebst du von Sonntag zu Sonntag.“ Man hört es — der Mann ist ein Rehhagel-Schüler.

Tatsächlich steckt hinter dem Aufstieg des VfB eine Menge mehr: Sidka, ein fleißiger und sachlicher Arbeiter, hat den vormals skandalträchtigen VfB (Kampfname: „Schalke des Nordens“) in einen seriösen Profiverein umgewandelt. Er ist keiner, der sich, wie neulich VfB-Vize Klaus Baumgart (eine Hälfte des Gesangsduos Klaus&Klaus), in die trübe Brühe der Hunte stürzt, um eine Wettschuld einzulösen und die Fans zu erheitern. Er ist keiner, der mit flotten Sprüchen seine Volksnähe demonstriert, wie es Kollege Reinders in Duisburg zu tun pflegt. Sidka redet nicht, er handelt: Bei seinem Amtsantritt hat er erstmal die Umkeidekabinen herrichten lassen und bewegliche Tore besorgt. Erfolg ist schließlich nur dem beschieden, „der jedes Detail, jede Kleinigkeit regelt“ (Sidka).

Viele Spieler, die die Oldenburger in den letzten Jahren verpflichteten, sind nur deshalb gekommen, weil Sidka die Drähte glühen ließ. Manager Assauer, der nach schlechten Erfahrungen in Schalke dem Fußball längst abgeschworen hatte, heuerte beim VfB an, nachdem der alte Freund Sidka ihm das Engagement schmackhaft gemacht hatte. Beziehungen sind halt wichtig im Geschäft.

Wieder knapp am großen Wurf vorbei

Trotz alledem — zum ganz großen Wurf, dem Aufstieg in die Erste Liga, wird es diesmal nicht reichen. Uerdingen war zu stark, Sidka ist wieder mal knapp vorbeigeschrammt am großen Ziel. Trauerarbeit muß er deshalb nicht leisten: Erstens war die Saison für den VfB auch so die erfolgreichste aller Zeiten, zweitens verheißt die Zukunft Gutes. Die Stadt hat gerade finanzielle Hilfe für den Bau einer vernünftigen Tribüne versprochen, das erfolgreiche Team will und soll zusammenbleiben, mit dem Tschechen Oldrich Machala steht die erste Verstärkung für die neue Saison schon bereit. „Wir werden hier weiterhin profihaft arbeiten“, sagt Rudi Assauer „damit wir demnächst wirklich ernsthaft an die Bundesliga denken können.“ Und damit Wolfgang Sidka, der ewige Zweite, endlich einmal Erster wird. Holger Gertz