Die Große Fuge des Kollektivs

■ Per Konferenzschaltung: Die 32-köpfige „Deutsche Kammerphilharmonie“, noch Frankfurt/Main, im Telefon-Interview

In Frankfurt ruckeln sie schon auf ihren Stühlen, seit ihrem Umzug nach Bremen kaum mehr was entgegensteht: Die Jungens und Mädels von der „Deutschen Kammerphilharmonie“. Neulich versammelten sie sich schon mal allesamt für die taz in ihrer Frankfurter Fabrik; in der Mitte des Saales stand ein Telefon, auf „Lauthören“ gestellt. Wer immer etwas zu antworten hatte, trat heran, sagte seinen Namen, und bald entspann sich lebhaftes Geplauder um Selbstverwaltung und Einheitslohn, wovon wir auch ein bißchen verstehen, sowie um die Herstellung der allerfrischesten Musik, wovon wir nur träumen können.

taz: Aus der hiesigen Musikszene werden ziemliche Raketen gegen Sie abgefeuert. Schreckt Sie das?

Hannes Nimpuno: Aber selbst diese Leute lassen keinen Zweifel an unserer Qualität. Das ist doch beruhigend. Nein, ich hab's gar nicht anders erwartet. Wenn man irgendwo hinkommt, haben manche natürlich erstmal Angst ums eigene Hemd.

Andere Leute erhoffen sich frischen Wind von Ihnen. Wo könnte der hinwehen?

Jörg Assmann: Nun, erstmal wollen wir uns ja verankern, und nicht nur mit den Konzerten, die wir als Philharmonie geben. Wir können uns ja in die vielfältigsten Kammerensembles teilen und in der ganzen Region mal hier, mal da was hören lassen. Oder wir machen Workshops zu Werken dieses Jahrhunderts für Schüler, für Studenten. Solche Sachen.

Friederike Latzko: Seminare zum Beispiel zur Kammermusik der Neuen Wiener Schule für alle Interessierten, auch mal für Musiklehrer. Oder neulich in Frankfurt haben wir vorm Konzert eine Werkstattversion für Schulkinder angeboten; das ließe sich vielleicht alles noch ausweiten.

Hannes Nimpuno: In jede Rich

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tung. Nächstes Jahr werden wir zum Beispiel einen Wettbewerb ausschreiben für junge Komponisten; die besten kommen eine Woche lang zu uns und können dann, quasi kurzgeschlossen mit uns Praktikern, ihre Werke ausarbeiten. Wir würden gerne auch etwas unübliche Komponisten-Symposien machen oder offene Proben. Das könnten andere zwar auch, aber die haben gar nicht die Musiker, die auf sowas eingestellt sind. Das ist ja gerade der Vorteil unseres basisdemokratischen Betriebs, daß ausnahmslos alle hochmotiviert sind.

Wollen Sie an der Musikhochschule mitarbeiten?

Hannes Nimpuno: Wenn es gewünscht wird. Wir hätten gerade im pädagogischen Bereich einiges an Ideen: abseits des üblichen Unterrichts, wo einzelne an ihren Instrumenten...

Jörg Assmann: ...zur Leistungserfüllung...

Hannes Nimpuno...geschult werden. Wir machen lieber kollektive Workshops, wo man im Zusammenspiel lernt, bei uns auch gerne mit Leuten wie Holliger oder Schiff.

Jürgen Winkler: Das Musikmachen ist ja eine sehr soziale Geschichte. Das geht an den Hoch

Orchester

schule ziemlich unter.

Das Lernen am einzelnen Instrument erzeugt den entfremdeten Orchesterarbeiter?

Jürgen Winkler: Je nun, das sind auch engagierte Leute. Aber wir wollen das halt nicht so.

Jörg Assmann: Das war immer unsere Schreckensvision.

Damit sind wir bei der Selbstverwaltung.

Jürgen Winkler: Ja. Wir haben ja aus guten Gründen alles in der Hand behalten: Unsere Programme, unsere Dirigenten, alles das wählen wir selbst; selbst unsere Einnahmen zahlen wir uns selber aus.

Ich glaube gar, Sie halten auch am Einheitslohn fest.

Jürgen Winkler: Ja.

Wie hoch liegt der im Verhältnis zu andern Orchestern?

Friederike Latzko: Das läßt sich so genau nicht sagen, weil innerhalb eines vergleichbaren Orchesters die Gehälter sehr weit auseinander liegen. Aber es dürfte im Schnitt etwa die Hälfte sein.

Dann sind Sie für eine Kommune weit günstiger als andere Orchester, solange Sie bereit sind, sich selber auszubeuten.

Jörg Assmann: Ja. Die Bremer haben gestaunt, wie wenig wir kosten. Nur wer Kinder hat, kriegt

bei uns ein bißchen mehr. Spesen extra. Aber allein das zu regeln, hat Kraft gekostet. Am meisten Nerven gingen allerdings drauf beim Ringen gegen die übliche starre Hierarchie.

Friederike Latzko: Erst dachten wir lange, alle müßten alles können, auch Stimmführer sein oder Konzertmeister. Bis sich's dann doch ein bißchen nach Fähigkeiten verteilte, das waren schmerzhafte Prozesse. Allein bis wir gelernt haben, uns vernünftig zu streiten!

Jörg Assmann: Nun ist das auch gar nicht so wichtig bei uns mit den Führungskräften. Da sind alle aktiv. Wenn Sie nur mal dran denken, wie wir uns die Große Fuge von Beethoven erarbeitet haben: Da steht sonst vorne einer und hat alles unter sich. Wir aber haben uns zum Proben einfach in lauter Streichquartette, lauter kleine Kollektive aufgeteilt; jeder lernte also seine Stimme als Solist! Dann haben wir zwei Quartette zusammengesetzt, dann drei und schließlich alle. So kam dann selbst von ganz „hinten“ die volle Power. Übrigens ohne Dirigent. Die Große Fuge, das war der Idealfall.

Das rätedemokratische Orchester, wo alle mitregieren.

Jörg Assmann: So ungefähr. Meistens laden wir uns allerdings, sagen wir mal: Dozenten ein. Die sitzen dann im Publikum und sagen, wie's bei ihnen ankommt. So ganz ohne ist wirklich schwierig. Da bricht dann die volle Demokratie über uns rein.

Hannes Nimpuno: Es sind halt hier alle zuständig für das, was rauskommt. Das erklärt ein bißchen, warum unser Modell immer attraktiver wird, seit überall die Orchester in die Sackgasse geraten. Ich flieg morgen zu einem Orchester-Kongreß nach Kanada und erzähle vor zweihundert Orchestermanagern, wie wir's hinkriegen.

Was folgt draus für das Orchester zu Hause?

Hannes Nimpuno: Daß es zum Beispiel nicht nur Konzerte machen kann.

Sondern die Leute ein bißchen in die Musik verwickeln muß? Was haben Sie denn diesbezüglich vor?

Jürgen Winkler: Neulich trafen wir Leute aus dem Publikum nach'm Konzert im Lokal, die waren überglücklich, mit uns plaudern zu können. Genauso könnt's laufen: Wir laden mal nach dem Abonnementskonzert zum Sekt ein.

Vielleicht mal in ihr künftiges Domizil, die Böhmersche Villa.

Friederike Latzko: Kann gut sein. Wir planen schon, da oft ein Offenes Haus zu machen. Das Erdgeschoß wollen wir für Publikumsverkehr herrichten.

Und die vielen, die nie von selber kämen?

Friederike Latzko: Ach, wie leicht kann man denen entgegenkommen, wenn man sich bloß nicht an die Tageszeiten und die Orte gebunden fühlt, an denen Konzerte üblicherweise stattfinden. Bürgerhäuser könnt ich mir vorstellen. Oder hier in Frankfurt spielten wir neulich in der psychiatrischen Klinik; man glaubt ja nicht, was sich dabei für Sachen tun. Oder Krankenhäuser überhaupt. Alles möglich.

Wären Sie auch für Crossover- Abenteuer zu haben? So in Richtung Jazz zum Beispiel?

Hannes Nimpuno: Unbedingt. Terry Riley hat erst letztes Jahr ein Werk exklusiv für uns und das Kronos-Quartett geschreiben, John McLaughlin hat ein Gitarrenkonzert für uns gemacht; nächstes Jahr arbeiten wir mit dem Art Ensemble of Chicago, und Chick Corea hat auch schon großes Interesse angemeldet.

Wann könnten Sie denn bei uns anfangen?

Hannes Nimpuno:

Wenn's klappt, im Herbst.

Und was machen Sie bis dahin?

Hannes Nimpuno: Bis dahin machen wir weiter wie bisher: Konzertreihen, Reisen ...

Polly Müller: Mit Gidon Kremer nach Rußland, mit Heinrich Schiff nach Finnland und Istanbul; da spielen wir Dvorak, Lutoslawski, Karl Amadeus Hartmann, Vivaldi; dann Riley zusammen mit dem Kronos-Quartett; dann mit Gidon Kremer von Philip Glass das Violinkonzert, dann ein speziell russisches Programm, dann machen die Bläsersolisten Mozarts Gran Partita, dann eine Tournee mit Frans Brüggen, mit Sandor Vegh, dann...

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