Metro, Mietshäuser, Müllfelder

■ Kurzfilme von Absolventen der New Yorker »School Of Visual Arts« im Sputnik und in der Brotfabrik

New York, 17. Februar, ein halb bewölkter Tag. Ein alter Mann sitzt vor seinem Haus und streichelt seine Katze. Drei smarte Advokaten kommen den baumlosen Gehsteig entlangspaziert. Sie überreden den Alten, sie mit ins Haus zu nehmen. Als sie es wieder verlassen, gehört es ihm nicht mehr. Er hat sich dafür eine Grabstelle auf einem Friedhof an der Hochbahn aufschwatzen lassen. Dort geht er hin, lehnt sich an seinen Grabstein und schlägt ein Buch auf. Über seinem Haupt schwebt wie eine Gloriole der Umriß von Manhattan.

Zwei weitere Geschichten, parallel erzählt, enden am selben Ort. Ein jüdischer Junge blickt von der Hochbahn auf das Gräberfeld. Mit seiner Schwester hat er eben die Großeltern besucht; dabei entbrannte ein heftiger Streit darüber, was sich für einen New Yorker Juden vor heute gehört. Über den Friedhof wabern giftige Dämpfe. Sie entströmen dem verunglückten Lastwagen zweier italoamerikanischer Ganoven. Die beiden hatten sich so heftig über den Weg und ein Geruchsspray gestritten, daß ihnen die Kontrolle über den Wagen mit der mysteriösen Giftbrühe entglitt.

Einzig die Topographie und die Zeiten halten die Geschichten aus drei sonst getrennten New Yorker Lebenswelten zusammen. Jede der Genrestudien — eine Minitragödie, ein Gesellschaftsstück, eine Farce — ist mit viel Liebe und Detailgenauigkeit in Schwarzweiß inszeniert und gekonnt mit den anderen verzahnt.

Brian Dentz, der February 17th, a Partly Cloudy Day gedreht hat, ist gerade 22. Er hat die New Yorker »School of Visual Art (SVA)« absolviert, so wie Marjorie Steinweiss, eine Mittvierzigerin. In Open Lines erzählt sie eine kleine Geschichte aus dem Künstleralltag. Eines Morgens beobachtet der Maler Eddie die Süßwarenhändlerin aus dem Erdgeschoß beim Wäscheaufhängen. Der Schaffensdrang, den der reizende Anblick in ihm weckt, wird leider dadurch behindert, daß sein Boß ihn ausgerechnet an seinem freien Tag zum Kellnern bestellt. Aber Eddie schafft es trotzdem, das Erlebnis in ein Gemälde zu verwandeln, und die Frau, die ihn für einen ziemlich komischen Vogel gehalten hatte, entdeckt ihre Sympathie für ihn. Eine einfache Geschichte, unaufdringlich, aber mit viel Sinn für Klang und Farben inszeniert, wie ihn das Sujet fordert. Überhaupt beeindruckt an den Abschlußarbeiten der New Yorker Filmabsolventen die handwerkliche Qualität. In der vierjährigen Ausbildung haben sie vor allem die Kunst erlernt, Alltagsgeschichten ohne Überhöhung unterhaltsam zu erzählen. Einige wollten doch höher hinaus und sind dabei gescheitert. Die Deutsche Katharina Kruse-Ramsey gewinnt — eine Reminiszenz an Sartres Geschlossene Gesellschaft — dem erzwungenen Zusammensein in einer Toten-WG ziemlich komische Seiten ab; aber ihren Rückblenden zu folgen bereitet schon einiges Kopfzerbrechen. Alle drei Protagonisten in Dented Paradise sind durch Gewaltverbrechen ums Leben gekommen. Darin spiegelt sich die alltägliche Gewalt in der Stadt. Doch die existentialistische Verfremdung hebt den Zeitbezug auf, ohne daß eine andere überzeugende Sicht auf das Thema gegeben würde.

Die Finnin Sofi Ben-Zvi hatte wohl ein feministisches Märchen im Sinn, als sie das Skript zu Elaina schrieb; e gelingt ihr auch, das Zusammenleben einer Familie so deprimierend in Szene zu setzen, daß der Mord der Ehefrau an ihrem tyrannischen Mann erlösend wirkt. Aber am Ende läßt sie die Nachbarinnen die Leiche abtransportieren, die Frau heult, und der Sohn, der eben noch das Blut des Vaters aufgewischt hat, kopuliert mit der Nachbarstochter. Das schmeckt doch mehr nach einem Hollywood-B-Movie als nach feministischer Patriarchatskritik.

Trotzdem wirken auch die weniger gelungenen Abschlußarbeiten nicht peinlich — anders als manche Machwerke deutscher Kollegen, bei denen intellektuelle Überspanntheiten nicht so durchgängig durch handwerkliche Qualitäten ausgebügelt werden. Die Filme sind allemal sehenswert, denn sie zeigen New York anders, als wir es aus den Filmen von Woody Allen, Jim Jarmusch oder Spike Lee kennen. Der Blickwinkel ist noch alltäglicher, das Bild der Stadt noch nicht so sehr vom kinematographischen Kalkül bestimmt. Die kleinen Storys spielen in der fast immer gleichen Kulisse von Metro, Mietshäusern und Müllfeldern. Das Ambiente ist monoton, langweilig, vororthaft. New York aus der Bewohnerperspektive — so sieht es in der Metropole aus, der Berlin am eifrigsten nachstrebt.

Einige der Absolventenfilme wurden bereits auf dem Saarbrückener Marcel-Ophüls-Festival gezeigt und dort lebhaft diskutiert. In Berlin sind insgesamt 19 Filme, verteilt auf drei abendfüllende Programme, zu sehen — zum ersten und bestimmt auch zum letzten Mal. Einige FilmemacherInnen werden anwesend sein. Michael Bienert

10.-13. Mai im Sputnik, Südstern, jeweils um 23 Uhr; und vom 15.-20. Mai in der Brotfabrik Weißensee, jeweils um 19 Uhr.