Ein friedlicher Tag in Karlshorst

■ 7.000 demonstrierten gegen die Rechtsextremen/ Gericht verbot Kundgebung der »Nationalen«

Lichtenberg. Zwischen der ersten und letzten Kundgebung in Karlshorst liegen 47 Jahre. Stefan Doernberg hat beide mitgemacht. Damals, am 9. Mai 1945, stand er als Offizier der Roten Armee inmitten seiner Kameraden und hörte sich mit Tränen in den Augen an, was Marshall Shukow verkündete: Der Krieg ist aus. Die Wehrmachtsführung hat in der Nacht die Kapitulationsurkunde unterzeichnet. Nie wieder Faschismus.

Am Samstag stand der deutsche Kommunist und Professor für Zeitgeschichte wieder vor diesem Haus. Der 9. Mai 1945, sagt er, sei der schönste Augenblick seines Lebens gewesen. »Ohne den Tag der Befreiung wäre Deutschland heute ein großes KZ.« Der 9. Mai 1992 hingegen sei ein trauriger Tag. Schon wieder müsse man gegen die Gefahr von rechts aufstehen, die »organisierte Arbeitslosigkeit« in der groß gewordenen Bundesrepublik erfülle ihn mit Sorgen. Heute werde die DDR verteufelt, ihr Antifaschismus als »ein verordneter« in den Schmutz gezogen. Aber ist nicht ein »staatlich verordneter Antihumanismus« viel schlimmer, fragt er und beschwört — als ob die Zeit stehengeblieben wäre — die Lehre: Nie wieder Faschismus, durch eine »Einheitsfront von Kommunisten und Sozialdemokraten«.

Von den Sozialdemokraten ist aber auf dieser Kundgebung nichts zu sehen und zu hören, sie sind abgetaucht. Auch auf der vorangegangenen Demonstration quer durch Lichtenberg zum »Kapitulationsmuseum« war keiner als solcher auszumachen. Über hundert Gruppen, Grüppchen, kommunistische Sektierer aller Schattierungen, aber auch Gewerkschaften und prominente Einzelpersonen hatten dazu aufgerufen, 47 Jahre nach Kriegsende gegen Nationalsozialimus und Rassismus zu demonstrieren. Die Kundgebung der rechtsextremen »Die Nationalen« hatte das Verwaltungsgericht am Abend zuvor verboten. Trotzdem nahmen 7.000 Menschen den Aufruf »Berlin — kein Aufmarschplatz für Neonazis« ernst. Aus dem Westteil kamen vorwiegend junge Leute, darunter ein starker Block der Autonomen, aus dem Ostteil überwiegend ältere Bürger und die Mitglieder der Bürgerinitative Karlshorst. Viele trugen ein Flugblatt »Keine Gewalt« am Revers und Nelken in den Händen. Später legten sie die Blumen im Museumsgelände nieder.

Zu Ausschreitungen kam es nicht, auch ein Polizeisprecher bezeichnete die Veranstaltung als »ungewöhnlich friedlich«. Das meinte auch Hans Coppi vom »Bund der Antifaschisten« und einer der Organisatoren der Veranstaltung. Sie sei ein »Erfolg für die Demokratie« gewesen, sagte er. Unzufrieden waren höchstens die paar hundert jugendlichen Kämpfer, die schon vor Beginn der Kundgebung in alle Karlshorster Seitenstraßen ausschwärmten, um nach Neonazis zu suchen. Vergeblich. Zu finden waren nur 3.500 Polizisten, die nicht viel zu tun hatten. Nur vier Personen wurden wegen »Mitführens von unerlaubten Gegenständen« festgenommen. Als der Regen kam, funktionierten sie ihre Schutzschilder zu Regenschirmen um. Anita Kugler