Schade um die Kreuzritterin

Schon wieder ein Sieg für Irland beim diesjährigen Schlager-Grand-Prix  ■ Aus Malmö Christian Hirt

„It's for all the children of the world“, versicherte die maltesische Schlagerkreuzritterin Mary Spiteri alle sieben Probentage vor ihrem großen Auftritt, schenkte jedem ein Lächeln und machte keine Schwierigkeiten, wenn sie um eine Gratisschallplatte angebaggert wurde. Und doch schlich über ihr Gesicht nach Verkündung der Resultate ein Hauch der Enttäuschung: Nicht sie, die hochgerüschte Endvierzigerin, siegte beim Grand Prix d'Eurovision de la Chanson in der Malmöer Eishalle, sondern eine andere, die zum Brückenschlag über alle Generationen hinweg ansetzte: Linda Martin, bereits 1984 beim Wettbewerb dabei und damals auf dem zweiten Rang, siegte mit dem von Johnny Logan komponierten und getexteten Titel Why Me?.

Die meisten Jurys mochten sich gesagt haben: Warum nicht? Bis auf die ethnopopverrückten Franzosen, die der Lady jedwedes Pünktchen versagten, scheffelte die in ein enges, halbschulterfreies Kleid gehüllte Miss Martin soviele Punkte, daß dem Briten Michael Ball mit seinem Hasselhoff-Verschnitt One Step out of Time nur der zweite Platz blieb. Gewonnen hat damit jene Interpretin, die ohne viel Federlesens bei jeder Probe präsent war, sich keine Patzer erlaubte und professionell ihre Botschaft verkaufte: Warum nur hast du mich erwählt, warum bin ich es? Es war sehr charmant gesungen, so kraftvoll gar, daß Liedern aus der Erweckungsecke (dem deutschen Träume sind für alle da oder dem norwegischen Visjoner) nur der 16. und der 18. Platz blieben: Das erste Liedchen nämlich, von der Gruppe Wind lag den Juroren offenbar so schwer im Magen, daß sich nur Belgien, Großbritannien, Irland, Dänemark, Jugoslawien und Portugal punktemäßig erbarmten. Portugal schenkte den Deutschen gar zehn von zwölf möglichen Punkten, was als gütige Geste zum Absturz verstanden werden darf. Die Portugiesen sind es gewöhnt: Heuer langte es zum 17. Platz. Das norwegische Lied, eine Art We Are The World fürs Freiluftsingen am Fjord, wurde bäurisch-kraftvoll von der 23jährigen Merethe Tröan vorgetragen. Doch glauben offenbar selbst Jurys in den katholischen Breiten nicht mehr an die Spiritualität von Erde, Welt und liebender Familie. Österreichs Hoffnung, Tony Vergas, erschmuste sich einen zehnten Platz, was als Referenz an die Flachleger dieser Welt gedeutet werden kann. Professionalität wurde belohnt: Diejenigen, die die ersten fünf Plätze belegten, haben sich allesamt längst auf ihren nationalen Märkten etabliert, Nachwuchsnervositäten legten sie keine an den Tag.

Und doch: Daß Schweden mit seinem hochfavorisierten Christer Björkman nur auf dem vorletzten Platz mit der wunderschönen Ballade I morgon är en annan dag landete, stimmt bedenklich: Offenbar ist Schlafzimmersound nur in homöopathischen Dosen erlaubt. Immerhin belegten die an neuen Poptrends orientierten Beiträge achtbare Plätze: Frankreichs Rastfarischlager Monté la rivié kam auf den achten, das griechische Lied, eine feinsinnige Komposition mit Weltmusikanklängen, war den 22 Jurys 94 Punkte und Platz5 wert.

Das Festival, das spätestens in zwei Jahren in anderer Form organisiert werden soll, da dann neue Länder wie Estland, Ungarn, Polen und Kroatien mitmachen möchten, war eine Klasse besser als im vorigen Jahr: Amateure waren nicht auszumachen.

Dieter Bohlen, Modern-Talking- Designer und Komponist des österreichischen Liedes, flog doch noch ein: Noch Anfang der Woche war er zunächst unter Absingen von Schmähliedern aus Schweden abgereist. Erstens hatte man ihm angeblich untersagt, einen Hund einzuführen, zweitens hatte er sich mit der österreichischen Jury zerstritten. Tony Vegas, den Interpreten, der vom Zusammengehn grummelte, kümmerte all dies nicht: Er scherte sich einen Dreck um Konditionsanweisungen des deutschen „Wind“- Machers Ralph Siegel („Man muß ausgeschlafen auf der Bühne wirken“) und vergnügte sich bis fünf Uhr morgens mit seinem Anhang aus der Wein-Mann-und-Gesang-Ecke. Er sah von allen am Ende am entspanntesten aus. Er nahm die Teilnahme am Grand Prix d'Eurovision wohl als vergnügliche Sache, für die zu singen lohnt, aber die nicht allzu bierernst genommen werden sollte.