Granitwand gegen Steinewerfer

■ Finale im IHF-Cup: Wallau/Massenheim — SKA Minsk 20:22 (Hinspiel 25:23)/ Keeper Hofmann trotzt dem wurfgewaltigen Jakimowitsch und rettet Wallau den Europacup

Frankfurt/Main (taz) — Beide Arme hochgerissen, die Hände zu Fäusten geballt und ein strahlendes Lächeln auf den verschwitzten Gesichtern — das ist dieses Jahr die typische Geste der Spieler der SG Wallau/Massenheim. Vierzehn Tage nach der deutschen Meisterschaft holten sie auch den IHF-Pokal. Aufgrund der auswärts beim 25:23 im Hinspiel erzielten Tore sicherte sich das hessische Team trotz der 20:22-Niederlage den Europacup gegen SKA Minsk.

Es war nicht das vorletzte, es war nicht das letzte, es war das allerletzte Aufgebot der Wallauer, das zu diesem Endspiel antrat. Zu den üblichen Verletzten kamen noch der angeschlagene Mike Fuhrig und Rechtsaußen Olaf Oster hinzu, zu dem Trainer Velimir Kljaic vor dem Spiel sagte: „Du wirfst nur, wenn du nicht springen brauchst.“

Gegen die Riesen in der Abwehr des achtmaligen Cup-Gewinners aus Weißrußland kein leichtes Unterfangen. Respekt hatte Wallau vor allem vor Mikhail Jakimowitsch, dem Spieler, der den Ball wie einen Stein wirft. Ihn würde man gern einmal in Rocky VII gegen Sylvester Stallone sehen — Rockys zweifellos letztem Kampf. Als er in der ersten Halbzeit einmal den Ball an die Latte nagelte, hob sich kurz das Tor aus der Verankerung. Nur mit Mühe konnte die SG den Rückstand zur Halbzeit mit 11:13 in Grenzen halten.

„In der zweiten Hälfte haben wir auf den Zusammenbruch von Wallau/Massenheim gewartet“, sagte später SKA-Trainer Mironowitsch. Jakimowitsch sollte nun die Wallauer Deckung endgültig knacken. Doch zunächst bekamen die Hessen ihre zweite Luft. Die Männer um den zweithärtesten Werfer der Welt, Stephan Schoene, konnten bis zur 44. Minute ausgleichen und sogar in Führung gehen. Dann ging den Wallauern langsam, aber sicher die Puste aus. Nun spielte Minsk praktisch nur noch gegen einen Mann: Keeper Peter Hofmann.

Es war vielleicht das Spiel seines Lebens. Ob aus dem Rückraum, ob von links, ob von rechts, ob vom Kreis — Jakimowitschs Steinwürfe prallten an Hofmann ab wie an einer Granitwand. Selbst Siebenmeter brachte der Hüne nicht mehr an Hofmann vorbei. In dieser Phase brannten dann gar Andrej Minewski die Sicherungen durch, und er ließ sich zu einem Ellenbogenschlag hinreißen, der für ihn die rote Karte bedeutete.

Ab dem 19:19 in der 51. Minute war Wallau „platt“, wie Kljaic später unumwunden zugab. Aber Minsk schaffte es einfach nicht, entscheidend davonzuziehen. Immer wieder brachte Hofmann Kopf, Fuß, Hand oder Schulter dazwischen. Schließlich schaltete sich sogar SKA-Torwart Alexander Minewski mit in den Angriff ein — es half nichts. Bei jeder Parade Hofmanns verwandelten die 6.000 Zuschauer den Höchster Ballsport-„Saddle Dome“ in ein Tollhaus. Jeder hatte die klamme Befürchtung, daß es vielleicht doch nicht ganz für den deutschen Meister reichen würde.

In der 58. Minute spitzte sich das Drama zu. Minsk hatte das 22:20 geworfen und brauchte nur noch ein Tor für den Cup-Gewinn. Wallau langte dieses Ergebnis. Die zwei verbleibenden Minuten zogen sich wie Kaugummi. Die Hessen rafften sich zu einem letzten Angriff auf. 59,01 Minuten: Schoene wirft — Minewski hält. Mit dem entscheidenden Tor zum Pokal-Gewinn hätten sich die weißrussischen Spieler die dreitägige Heimfahrt im klapprigen „Ikarus“-Bus versüßen können. 59,39: Jakimowitsch — wer anders — sieht die Lücke und wirft aufs Tor. Ein Schrei aus 6.000 Kehlen — Hofmann reißt das Knie hoch — gehalten!

Erst eine halbe Stunde nach Spielende fand Minsk-Trainer Mironowitsch die Sprache wieder. „Schade, wir haben gut gespielt, aber Peter Hofmann hat uns besiegt.“ Und als fairer Sportsmann und Verlierer fügt er noch hinzu: „Wallau/Massenheim ist für mich zur Zeit die stärkste Mannschaft der Welt.“

Da strahlen der scheidende Trainer Velimir Kljaic und Wallaus „Mr. Handball“, Bodo Ströhmann, um die Wette. Im hessischen „Ländche“ ist das Träumen vorerst erlaubt. Matthias Kittmann