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Arme Afrikanerin

■ Meyerbeers letzte Oper in Berlin Unter den Linden

Die guten Nachrichten zuerst. Endlich hat die Lindenoper wieder eine Neuinszenierung auf die Beine gebracht. Zwar spät genug, aber besser als nie. Bislang hat sich das von Sängerschwund und Führungswechsel schwer gebeutelte Ostberliner Haus nämlich nur mit mittelprächtigen Wiederaufnahmen über die Saison retten können. Auch die zweite Meldung ist erfreulich: zur Premiere in Berlin kam, nach sechsundsechzig Jahren Zwangspause, eine der erfolgreichsten Opern, die das 19. Jahrhundert überhaupt hervorgebracht hat (und die dennoch seit langem verschollen war) — Die Afrikanerin von Giacomo Meyerbeer.

Leider lassen sich die schlechten Nachrichten nun um keine weitere Zeile mehr aufschieben: es kam zu einer öffentlichen Hinrichtung, zum Fiasko, zu einem so unglaublich bodenlos tiefen Reinfall, wie ihn die Lindenoper in ihrer langen und ruhmreichen Laufbahn gewiß noch nie erlebt hat.

Als der Dirigent nach der Pause wieder am Pult auftauchte, schlug ihm aus dem Publikum gnadenlos der Ruf: „Üben! Üben!“ entgegen; und wie dann am Ende auch noch das letzte Finale gründlich versemmelt worden war und der allerletzte Ton sich irgendwie im Graben verkrümelte, strebten die Leute schnell und verzweifelt dem Ausgang zu. Mit knapper Not gab es gerade eben noch einen Vorhang — der Ertrag des Abends, per Zuruf auf den Begriff gebracht, lautete: „Armer Meyerbeer!“

Es ist sowieso seltsam genug: daß die Opern des großen Giacomo Meyerbeer, allesamt und jede für sich ein reicher Schatz an glanzvoller Theatermusik, immer wieder neu entdeckt werden müssen und dennoch nie so recht zurückfinden können ins Repertoire. Nur zum Teil läßt sich das Phänomen historisch erklären aus der antisemitischen Verfolgung und nationalchauvinistischen Ausgrenzung, die diesen Mann und seine Musik noch posthum so nachhaltig getroffen haben wie keinen zweiten. Der Rest bleibt offene Frage: Wie kommt es, daß sowohl die notorischen Operngänger wie auch die Kritik sich hingerissen zeigen von den spektakulären Wiederaufführungen des Propheten und der Afrikanerin (Bielefeld 1986 und 1991), des Robert (Paris 1985) und der Hugenotten (Berlin-West 1987)? Wie kommt es, daß keine Bühne andernorts diesem Beispiel folgt? Ist Meyerbeer zu schwer? Gewiß nicht schwieriger als sein Nachfolger Verdi. Ist er zu verschroben, zu teuer? Gewiß weitaus weniger als sein Widersacher Wagner. Was sonst?

Sicherlich sind Meyerbeers große Opern nichts für kleine Bühnen — das hat sich erwiesen nicht zuletzt an den Beschränkungen, die die Bielefelder Inszenierungen bei aller Brillanz doch haben in Kauf nehmen müssen. Eine Massenszene im Dom läßt sich nur mit Mühe in einen Guckkasten packen, ein im Sturm zerschellendes Schiff, das im Sinken noch geentert und vom Chor heiß umkämpft wird, ist nur mit Einbuße auf das passende Format zu stilisieren.

Vor allem aber sind Meyerbeers Opern nicht zum intellektuellen Nulltarif zu haben. Die politisch aktuellen Sujets und die weit ausgreifenden historischen Tableaus verlangen vom Dramaturgen einiges an Kenntnis. Die gewaltigen dramatischen Verwicklungen und die bis in die tiefsten Falten der Seele ausgefeilten Charaktere fordern eine Regie mit langem Atem und Ideen. Die Partituren schließlich brauchen eben die Dynamik und die Perfektion, wie sie nur wirklich gute Kräfte bei reichlich Probenarbeit aufbringen.

Meyerbeers letzte, unvollendete Oper Die Afrikanerin handelt davon, wie Vasco da Gama im Jahre 1498 das Kap der Guten Hoffnung umsegelte; wie er der Faszination der Macht erliegt, aber auch dem Zauber des exotisch Anderen; wie er schließlich die fremde Kultur, indem er sie „entdeckt“, zugleich vernichtet. Und am Ende stirbt die eroberte „Afrikanerin“ ihren nicht endenwollenden, freiwilligen Drogentod himmelhochjauchzend unter den giftigen Dämpfen des Manzanillabaums. Dies Stück ist eine Kolonial-Oper, die dem Publikum im Jahre 1865 direkt und brutal den Prozeß imperialistischer Landnahme vor Ohren geführt hat. Nicht auszudenken, was eine Inszenierung mit etwas Grips und Können vor dem Ostberliner Publikum im Jahre 1992 daraus alles hätte machen können.

Nicht der Rede wert, wie bar jeder Ahnung von Geschichte, Politik oder gar Musik die Premiere an der Lindenoper; wie hilflos die Regie; wie oratorienmäßig steif der Chor; wie jammervoll ungenau und glanzlos das Orchester; wie fehlbesetzt die teuer aus dem Westen importierten Stars. Einzig die Afrikanerin (Uta Priew), ihr Vertrauter (Jürgen Freier) sowie ein Konquistador Pedro (Ren Pape) sangen an gegen das Mittelmaß. Kurz und schmerzlich: am Freitag abend fand in Berlin eine öffentliche Hinrichtung statt. Lieblos vernichtet wurde Meyerbeers Afrikanerin. Elisabeth Eleonore Bauer

Giacomo Meyerbeer: Die Afrikanerin. Libretto Eugène Scribe, deutsch von Manfred Haedler. Musikalische Leitung Wolfgang Rennert. Inszenierung Frank Sarnowski. Deutsche Staatsoper (Unter den Linden) Berlin, wieder am 22. Mai, 6., 21., 28. Juni.

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