Ein schwerer Rückfall

Aufklärer oder Gangster: Neues vom HipHop  ■ Von Thomas Winkler

HipHop ist schon längst aus der Offene-Turnschuhe- Attitüde herausgetreten und längst nicht mehr durch das simple Wort allein beschrieben. Die Crossovers, die im Genre betrieben werden, sind schon längst unüberschaubar geworden und genauso unterschiedlich wie die sozialen und kulturellen Backgrounds der Musiker. Kein noch so fremder Musikstil, der noch nicht gesampelt wurde, keine ethnische Minder- oder Mehrheit, die nicht rappen würde, keine mögliche Kombination von Rassen, die noch nicht in einer Band vereint wäre. Vielleicht fehlen noch die australischen Aborigines, vielleicht auch nicht. Das mediale Dorf hat dafür gesorgt, daß nahezu alle, die sich unterdrückt fühlen, sich in diesem Stil musikalisch äußern. Der politisch wirkende HipHop hat zwei Extreme farbigen Aufbegehrens entwickelt: die Aufklärer und die Gangster. Beides vermischt sich, liegt aber auch in reinen Formen vor.

The Disposable Heroes of Hiphoprisy sind ein Duo aus der Bay- Area, Kalifornien. Michael Franti ist Schwarzer, Rono Tse ist Hongkong- Chinese. Beide waren bereits in der Industrial-Band Beatniggs, die klare politische Slogans herausbrüllte und sie mit hochrhythmischem Lärm unterlegte. Wer durch die oft rudimentären Texte der Beatniggs interessiert wurde, konnte in liebevoll gestalteten, der Platte beigelegten Heften weiterlesen. Die DHOH sind auch deshalb zum HipHop gekommen, weil der Rap die Möglichkeit gibt, die nötigen Informationen im Text unterzubringen. Zu Hypocrisy Is The Greatest Luxury gibt es deshalb kein Begleitmaterial, sondern ein Booklet in der CD, in dem zwar nur die Texte selbst stehen, das aber trotzdem sechzehn Seiten umfaßt. Franti rappt seine Texte vor allem verständlich, die Silbenakrobatik seiner Kollegen ist ihm relativ fremd. Seine Themen sind religiöser Fundamentalismus, die Macht der Medien, Drogen, Golfkrieg, die USA, seine Herangehensweise ist oft ironisch, immer analytisch: „The pilots said their bombs lit Baghdad like a Christmas tree/ It was the Christian thing to do you see.“ Franti geht davon aus, daß die Minderheiten nach mehr als einem Jahrzehnt HipHop und nahezu dreißig Jahren kommerziell erfolgreicher schwarzer Musik genügend Selbstbewußtsein entwickelt haben, um die nächste Stufe, die der Aufklärung zu verkraften.

Franti steht in der Tradition eines Gil Scott-Heron, des selbsternannten schwarzen „Minister of Information“, aber im Gegensatz zu ihm verstehen es die DHOH, musikalisch auf der Höhe der Zeit, vielleicht sogar etwas weiter zu sein. Sie sind Brüder im Geiste von Consolidated, aber bei weitem tanzbarer als diese. Rono Tse kann nicht von den industriellen Klängen der Beatniggs lassen, setzt sie aber in den textlastigen Stücken (und das sind alle) so dezent und rhythmisch ein, daß ein neuer Sound entsteht, aber sie genau betrachtet nicht mehr als ein Element unter vielen sind: Jazz, Punk, Rock, Ethno, Soul werden genauso gesampelt und gespielt. Die Beats mögen den Tanzhungrigen zu altbacken erscheinen, die sonst so beliebten gesungenen Refrains sind so gut wie nicht vorhanden, aber das verhindert, daß die Botschaft in den Hintergrund gerückt wird. Und die ist das Wichtigste, auch wenn es „für Außenstehende schwierig ist, den Kontext zu verstehen, aus dem Rap kommt“, wie Franti in einem Interview mit 'Bad‘ erklärte. Diese Platte kann ein erster Schritt in den Kontext sein. Auch weil sie viele der derzeit möglichen Stileinflüsse des HipHop vereinigt, einige neue hinzufügt. So ist Musics and Politics ein nur von einer spröden Gitarre begleiteter Rap. Und Dead-Kennedy-Fans müssen sich diese Platte sowieso kaufen, weil Jello Biafra California über alles zusammen mit den Disposable Heroes of Hiphoprisy covert.

Vom Politiker zum Gangster. Ice-T gehörte zu den Großen der „New School“ des Rap, die den Rap von den soulbeeinflußten Alten wie Kurtis Blow übernahmen und ihn zu dem machten, was man heute HipHop nennt. Und er war der Prototyp des Gangsters, nicht so ein Weichling wie LLCoolJ, der von „Liebe“ sprach. Das gehört nicht zu Ice-Ts Wortschatz, „ficken“ schon. Ice-T selbst verstand sich als ein Nachrichtensprecher des Ghettos, einer, der in seinen Raps erzählte, wo letzte Nacht eine Schießerei stattgefunden hat, während die News im TV die neueste Seifenoper aus dem Weißen Haus mit Ronnie und Nancy in den Hauptrollen brachte. Eine Nachricht wie „Last weekend thirty-seven kids killed in a gang warfare in my backyard“ ist keine Sendesekunde wert. Ghetto heißt hier South Central Los Angeles, heißt Arbeitslosenquoten von über 50Prozent, heißt Leben auf der Straße. In der Gegend ist die einzige Chance raus zu kommen, im Drogenhandel Geld zu machen und das heißt für einen Schwarzen wiederum die Drecksarbeit zu tun und die Waffen für die weißen Drahtzieher zu benutzen. Für einen Schwarzen aus South Central LA ist der Gangster, der im dicken Wagen vorfährt, mit Goldschmuck behängt (auch wenn das inzwischen aus der Mode ist), eben ein Vorbild, gar ein Held: „Here come them fuckin' niggas with their fancy cars.“ Ice-T gab der sprachlosen, rechtlosen Masse die Worte ihrer Wut — nicht mehr.

Für einen Rapper vom Schlage Ice-Ts war es unerläßlich, „street credibility“ zu besitzen, das hieß eine Legende als Verbrecher vorweisen zu können, im Knast gewesen zu sein oder sich im mindesten Fall eine solche zu erfinden. Das Verhältnis des HipHop zum Verbrechen ist kein poetisches, sondern ein existenzielles, weil das Verbrechen für viele Schwarze die einzige Chance ist, im Bildungsnotstandsland USA zu Wohlstand zu kommen. Nichtsdestotrotz verlor Ice-T seine credibility in dem Moment, in dem er nach West Hollywood in das Haus neben dem von Axl Rose zog und zum Filmstar wurde (unter anderem in New Jack City). Die nächste Platte hieß dann O.G., sprich „original gangster“, als wollte er beschwören, was er längst verloren hatte. „Außerdem bin ich verheiratet; da kommt man sich einfach dämlich vor, wenn man auf der Bühne steht und ,Pussy‘ brüllt“, verriet er 1991 'Spex‘. Dahingehend ist Body Count ein schwerer Rückfall.

Body Count ist eine schwarze Metalband, die Ice-T gründete, vielleicht weil es ihm zu langweilig wurde, immer dasselbe zu machen. Auf jeden Fall dürfte er erkannt haben, daß Heavy Metal nicht nur bei weißen Kids eine ungeheure Wirkung erreicht. Metal und HipHop sind die kommerziell erfolgreichsten Genres in den USA, und der Crossover zwischen beiden ist spätestens seit Run DMCs „Walk This Way“ und den Beastie Boys ein ernstzunehmender Faktor.

Ice-T stellte alle Ängste des weißen Mannes vor der angeblich genetisch bedingten Verfaßtheit des Schwarzen personell dar und gab der schwarzen community damit ein vorher nicht gekanntes Selbstvertrauen. Plötzlich waren sie nicht mehr die dämlichen Sklaven, nicht mehr im besten Fall der nette Onkel Tom von nebenan oder der Boxer oder der 100-Meter-Läufer, sondern jetzt hatten die Weißen Angst vor ihnen. Ice-T ist schwarzer Rassist, ist sexistisch, Waffenfanatiker, eben Gangster, und er repräsentiert alle Vorurteile, die man sich über „Nigger“ ausdenken kann: „So what we really tryin' to say is Body Count loves everybody. We love Mexican girls, Black girls, Oriental girls, it really don't matter. If you from Mars, and you got a pussy, we will fuck you.“ Man kann davon ausgehen, daß die „white girls“ nur aus sprachrhythmischen Gründen fehlen.

Ice-T und seine Gleichgesinnten werteten Sexismus und Rassismus positiv um, das Schimpfwort „Nigger“ hatte sich schon vorher — vergleichbar zur Entwicklung des Wortes „schwul“ — zur trotzigen Selbstbezeichnung verwandelt, mit dem sich Schwarze identifizierten. So wurde das Elend erhöht, wurden die Ghettos zum Dschungel, in dem sich die B-Boys durchschlagen mußten. Was einen nicht umbrachte, machte einen härter. Dies geschah nicht aus romantischen Gründen, sondern aus purer Notwendigkeit. Lieber mit dem Elend eins, als ein Nichts. „At this moment more black males are in prison than in college“, heißt es in einem der Kommentare, mit denen die (eben nicht-) Leerrillen von Body Count gefüllt sind. Natürlich hat auch Ice-T erkannt, daß die Buppies (Black Urban Professionals) nur ein Placebo für die schwarze Minderheit sind. Die Hoffnung, den Aufstieg zu schaffen, als Ruhigstellung.

Schade ist nur, daß Body Count eine ziemlich schlechte Metal-Band sind. Zwar bemühen sie sich redlich, moderne Einflüsse, die Doom und Death vorzeichnen, zu integrieren, aber ihr Stakkato ist todsterbenslangweilig, die Gitarrenarbeit öde, und Ice-T hat nun nicht gerade das geeignete Kotzbrockenorgan. So ist die vollmundige Ankündigung der Plattenfirma, daß Body Count den Marktführer Metallica „ins nächste Sonnensystem pusten“ würden, leider völlig danebengegriffen.

Was bleibt, ist der Bandname, ist das Cover, sind die Texte, sind all die dumpfen Ängste in weißen Birnen, mit denen Ice-T so drastisch spielt, als wolle er die gesamte weiße Rasse per Herzinfarkt ausrotten. Knarren allüberall, diese Platte ist hauptsächlich ein Statement, soll sagen: We're taking over. Selbst in einer so typisch weißen Sparte wie dem Metal seid ihr nicht mehr sicher. Schwarze Musiker wie Ice-T wird es solange geben wie die Zweidrittelgesellschaft, solange, wie die sozialen Probleme der Industrienationen nicht gelöst sind, solange Schwarze den Reichtum von Weißen im Wüstensand verteidigen, solange die Bandenkriege weiter eskalieren und ein Soundtrack für die Schießereien gebraucht wird. Ice-T repräsentiert eine Schicht, die ohne Bildung dumpfem Rassismus und Sexismus anheimfällt. Ob er selbst es inzwischen nicht besser weiß, tut da nichts zur Sache, solange solche Messages auf fruchtbaren Boden fallen können. Ice-T und sein kämpferisches Posieren sind solange nicht überholt, wie es Schwarzen an Selbstbewußtsein mangelt. Die Zukunft mag Acts wie den Disposable Heroes of Hiphoprisy gehören, die den platten Posen die Analyse folgen lassen und ein multiethnisches Weltbild haben. Noch ist es nicht soweit.

The Disposable Heroes of Hiphoprisy: Hypocrisy is the Greatest Luxury. Island/BMG 262894.

Body Count: Body Count. Sire/ Warner 7599-26878-1.