Weltbank: Wachstum ist kein Allheilmittel

Handbuch soll Managern den sanften Entwicklungsweg nahebringen/ Armut läßt sich nur bekämpfen, wenn zur Verbesserung der Wirtschaft ein Ausbau der sozialen Netze hinzukommt/ Eine Milliarde Menschen leben von einem Dollar pro Tag  ■ Von Donata Riedel

Ideen brauchen viel Zeit auf dem Marsch durch die Institutionen. Die Idee von der Partizipation, der Teilhabe der Menschen an den Entscheidungsprozessen, die ihr Leben betreffen, brauchte rund 15 Jahre, bis sie von den 70er-Jahre-Bürgerbewegungen in den Industrieländern bis in die Weltbank vordringen konnte. „Wir haben gelernt, daß es wichtig ist, arme Menschen an der Gestaltung und Umsetzung von Projekten zu beteiligen, die sie betreffen“, sagte Weltbank-Direktor Sven Sandstrom in Washington bei der Vorstellung eines neuen Handbuchs zur Reduzierung der Armut.

Das Handbuch soll den Weltbank- ManagerInnen als Leitfaden für ihre Arbeit in den Entwicklungsländern dienen. Und der Weltbank endlich Erfolg bei der Bekämpfung der Armut bringen. Denn in den letzten Jahren ist die Zahl der Menschen, die in bitterer Armut leben, beständig gestiegen. Heute haben über eine Milliarde Menschen weniger als einen Dollar pro Tag zur Verfügung und gelten damit als absolut arm.

Nach Jahren der Förderung gigantischer, oftmals umweltzerstörender Projekte (Staudämme, Straßen etc.) leitet die „Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung“, wie die Weltbank im Untertitel heißt, eine neue Strategie der Armutsreduzierung ein. Armut, so die Erkenntnis, läßt sich nicht durch isolierte Projekte oder die alleinige Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmendaten beseitigen. Zwar gilt weiterhin das Weltbank-Credo, daß wirtschaftliches Wachstum aus der Armut führt, weil so auch Verdienstmöglichkeiten für die Armen entstünden. Das alleine aber, sagte Sandstrom, reiche nicht aus. Ebensowichtig bei der Bekämpfung der Armut seien der Zugang zu sozialen Einrichtungen und Bildungsmöglichkeiten für die sozial Schwächsten der Bevölkerung.

Das Handbuch nennt als Beispiel Brasilien: Dort wuchs zwar das Pro- Kopf-Einkommen der Bevölkerung. Aber die Lebensumstände der ärmsten BrasilianerInnen haben sich eher noch verschlechtert. Denn für die 19 Prozent der Ärmsten der Bevölkerung (sie können pro Person weniger als 180 US-Dollar im Jahr ausgeben) stehen nur sechs Prozent des Sozialetats zur Verfügung, während 34 Prozent der Sozialausgaben den oberen 16 Prozent der Bevölkerung zugute kommen. Überhaupt sei es eine Illusison zu glauben, daß Sozialetats per Definition der Unterstützung der Allerärmsten einer Bevölkerung dienten. Die Weltbank, verspricht Sandstrom, wolle in Zukunft bei den Regierungen darauf dringen, daß staatliche und internationale Hilfsgelder auch zu denen gelangen, die sie am allernötigsten brauchen.

Im Gegensatz zu Brasilien legte die Regierung von Sri Lanka großen Wert auf die sozialen Dienste für die Ärmsten, vernachlässigte aber das Wirtschaftswachstum. Das habe die Möglichkeiten der Ärmsten, Geld verdienen zu können, eingeschränkt, bemängelt das Werk.

Ein Patentrezept zur Reduzierung der Armut gebe es nicht. „In jedem Land, das unsere Hilfe nachfragt, müssen wir uns fragen: Wer ist arm? Warum, und was kann die Regierung dagegen tun?“, beschreibt Joanne Salop, Wirtschaftsberaterin bei der Weltbank, das neue Vorgehen. Die Antworten auf diese simplen Fragen würden oft eine Menge Arbeit erfordern, weil statistische Daten häufig nicht vorhanden seien.

So müsse ein Programm gegen die Armut in Malawi anders aussehen als in Ghana. In Malawi hätten die Weltbank-Experten so gut wie kein statistisches Material über die Armutsverteilung von der Regierung bekommen können. Durch eigene Recherchen hätten sie herausgefunden, daß ein Teil der Armen als Tagelöhner oder Arbeitslose in den Städten, ein anderer Teil als Kleinbäuerinnnen mit vielen Kindern auf dem Land leben. In Malawi sei es also vordringlich, in den Städten die Arbeitslosigkeit zu senken und auf dem Land die Produktivität der kleinen Farmen und die Bildungschancen zu verbessern.

Demgegenüber ging schon aus den offiziellen Statistiken in Ghana hervor, daß Armut in all jenen Gebieten herrscht, in denen aus klimatischen Gründen kein Kakao angepflanzt werden kann. Hier empfahlen die Weltbankexperten, die Hilfe auf die Förderung anderer Agrarprodukte zu konzentrieren.

Oft, berichtet Joanne Salop, würden die Weltbankprogramme auch daran scheitern, daß die Regierungen sie nicht wie abgesprochen umsetzten. So habe die Weltbank Zaire die Kredite gekürzt, weil das Land weiterhin hohe Summen ins Militär und nicht in die Armutsbekämpfung gesteckt habe.

Wenig helfen kann die Weltbank dem Kakao-Exporteur Ghana allerdings bei den zunehmenden Schwierigkeiten auf dem Weltkakaomarkt, wo die Preise noch nie so niedrig waren wie jetzt. Wie schon das Kaffeeabkommen, wird wahrscheinlich auch das im September auslaufende Kakaoabkommen zum Nachteil der Produzentenländer scheitern.

Die Weltbank wird wie ihre Schwesterorganisation Internationaler Währungsfonds (IWF) von den reichen Industrienationen finanziert, die analog zur Höhe ihres Kapitals ihr Stimmrecht ausüben. Die Weltbank kann also bestenfalls an ihre Eigentümer appellieren, die in den letzten Jahren verstärkten Importbarrieren gegenüber den Waren aus Entwicklungsländern fallen zu lassen. Die Handelsbedingungen auf dem Weltmarkt, die Länder wie Ghana nicht beeinflussen können, könnten so auch die neue sanftere Strategie der Weltbank scheitern lassen.