„Jeder hat das Recht auf Rausch“ — Legalize it?

■ SPD-Hearing über Alkohol, Hasch und andere Drogen / Duldung und Apokalypse

„Jeder Bürger hat das Recht auf Rausch!“ erklärte der Richter am Landgericht Wolfgang Nescovic gestern im Hause der Bremer Bürgerschaft. Starke Worte eines Richters, dessen Urteil, die Kriminalisierung weicher Drogen sei verfassungswidrig, vor kurzer Zeit Schlagzeilen machte. Der Vorsitzende Richter am Landgericht Lübeck sprach gestern auf dem von der SPD-Bürgerschaftsfraktion veranstalteten Forum „Drogen: Heraus aus dem Teufelskreis“ vielen Anwesenden aus dem Herzen: Viel Beifall gab es für den querschlagenden Juristen, der mit weiteren ExpertInnen aus Wissenschaft, Medizin und Polizei und über 100 Interessierten über neue Wege in der Drogenpolitik diskutierte.

40.000 Menschen sterben pro Jahr an den Folgen von Alkohol; schätzungsweise die Hälfte aller Verkehrsunfälle ist auf Alkohol zurückzuführen, knapp 50 Prozent aller Totschlagsdelikte und Sexualmorde ebenfalls — aber vom Strafrecht werden die „User“ dieser Droge, die eine dem Heroin vergleichbare physische Abhängigkeit auslöst, in Ruhe gelassen. Kriminalisiert werden dagegen Haschisch- und Marihuana-RaucherInnen, die eine Droge nehmen, deren gesundheitliche Schäden gegen Null gehen, die kaum abhängig macht und deren volkswirtschaftlicher Schaden im Gegensatz zum Alkohol unerheblich ist.

„Nach dem Gleichheitsgrundsatz darf nicht das eine bestraft

Bitte das Paßbild

werden und das andere nicht“, sagte Richter Nescovic. Der Unterscheidung zwischen dem „Genußmittel“ Alkohol und der „Droge“ Cannabis bescheinigte er eine „gesellschaftliche Doppelmoral“. Außerdem sei der Rausch „ebenso ein menschliches Grundbedürfnis wie Essen, Trinken und Sex.“

Und: Das Strafrecht habe letztendlich keinen Einfluß auf das Verhalten der KonsumentInnen. „Der Heroin-Konsum steigt trotz Strafandrohung, der Alkohol- und Zigarettenkonsum stagniert trotz Straffreiheit.“

Seit 20 Jahren ist es bekannt, aber sowohl Justiz als auch Politik ignorieren es: Haschisch und Marihuana sind nicht gefährlich, machen nicht abhängig, bewirken kaum organische Schäden. Das machte der Leiter der Inneren Medizin im ZKH Bremen-Ost, Prof. Dr. Rasche, gestern noch einmal klar. Daß Opiate krank machen, ist dagegen unumstritten. „Aber die Mediziner haben sich auf dem Gebiet, wie man mit Folgeschäden der Sucht umgeht, zurückgezogen“, kritisierte Rasche seine KollegInnen: „Der Drogenabhängige ist immer das ungeliebte Kind.“ Womöglich weil man unterstelle, daß er seinen Zustand schließlich selbst herbeigeführt habe und er Therapien unzugänglich sei. „Was oft auch stimmt: Aber bei Bluthochdruckpatienten infolge ungesunder Ernährung und lungenkrebskranken Rauchern ist das doch auch so“, findet Rasche.

Ein ganz anderes Problem stellt dagegen die Bekämpfung der organisierten Drogenkriminalität dar — und für seine Thesen erntete Bremer Kriminaloberrat Michael Haase nicht gerade Begeisterung: „Die Mittel der Polizei reichen gerade mal aus, um die Wald- und Wiesentäter zu überführen“, so Haase. „Deshalb haben wir eine unsoziale Klassenpolizei und -justiz.“ Weniger Beschränkungen für die Polizeitätigkeit forderte er, denn für die Zukunft malte er ein düsteres Bild: Bremen werde nach Öffnung der EG-Grenzen zu einem Brennpunkt des internationalen Schmuggels, die Preise würden sinken, durch erhöhten Konsum steige die Kriminalität. „Schußwechsel untereinander und mit der Polizei werden keine Seltenheit sein: Wir befinden uns im Vorstadium zum US-amerikanischen Organize-Crime.“ Von der Differenzierung der Konsumenten und der dealenden Konsumenten hält Haase gar nichts: „Da verwischen sich die Grenzen. Die Entkriminalisierung kann an der Gesamtsituation nichts ändern.“ skai