Optisch veredeltes Getöse

■ Auferstehung im Huxley's: The Jesus and Mary Chain

Acht Scheinwerfer, gebündelt zu Strahlern, als gälte es, ein Stadion zu beleuchten. Oder vier mal zwei Spots, die wie Argusaugen ins Dunkle glühten. Doch den Nebel konnte keine Bühnenleuchte durchdringen. Irgendwo in diesem dampfenden Licht standen auch Musiker — in Huxley's Neuer Welt spielten am Sonntag abend The Jesus and Mary Chain.

An ihre Rückkehr hatte geraume Zeit niemand so recht mehr geglaubt. Dabei ist die schottische Noise-Kapelle eine lebende Legende: Lang zählte sie zu den Lieblingen von John Peel, und es verging kaum eine seiner Sendungen auf BFBS, in der der er nicht begeistert plappernd eins ihrer sägenden Stücke auflegte. Bald kannte jeder Psychocandy, die erste LP der Gruppe um die Brüder William und Jim Reid, 1985 erschienen und gleich bei einem Major Label: ein geräuschvolles Konglomerat aus rudimentären Riffs, Rückkopplungen, gleichbleibenden Rhythmen und geschlechtsneutralem Nörgelsang. Damit hatten The Jesus and Mary Chain inmitten der Mittachtziger-Orientierungslosigkeit einen eigenen Stil erfunden. Bei den Live- Auftritten der Band aber schieden sich die Geister. Während die einen sich daran erfreuten, daß die Band ihr Instrumentarium regelmäßig kurz und klein schlug, ärgerten sich die anderen, daß sie die Musiker nur zwanzig Minuten lang sehen durfen — dazu noch von hinten.

Diese Meinungsverschiedenheiten sind längst überholt. The Jesus and Mary Chain geben zerstörungsfreie Konzerte von regulärer Länge und wenden ihrem Publikum die Vorderseite zu. Scheu jedoch wirkten sie im Huxley's immer noch. Nachdem die englischen Jesus-Zöglinge Thousand Yard Stare das Publikum auf den hypnotischen Sound ihrer Förderer eingestimmt hatten, versteckten sich die bescheiden gekleideten Brüder im Bühnennebel, um mit ihren langhaarigen Kollegen an zweiter Gitarre und Bass, bar jeder Pose und jeder Geste, ihr jüngstes Album herunterzufegen. Und weil die Texte der Band im Ruf stehen, von nicht allzu hohem Gehalt zu sein, eilte immer wieder ein Video über die Bühnenwand, wie um auf den umstrittenen Opener der Platte, auf Reverence, hinzuweisen: ein gekreuzigter Gottessohn und Bruchstücke britischer News-Realitäten. Oder wie sonst sollte »I wanna die like Jesus Christ« illustriert werden?

Schnell, hart und vor allem unerhört laut mischten sich dann die Stücke von Honey's Dead, dem ersten Produkt aus dem neuen Reid-eigenen Studio, mit früheren, bis alt und neu bald nicht mehr zu unterscheiden war. Glasigen Blickes gaben sich unter Baseballmützen verborgene junge Menschen gar vom Rave inspirierten Bewegungen hin. Wie auch The JAMC unauffällig einfließen ließen, daß sie nach fast dreijähriger Schaffenspause befriffen haben, daß das Zeitalter nun ein anderes ist. Hier und da zischte aggressives Computersampling aus den Boxen, und manchmal prüfte der Licht- Ingenieur seine Geräte, ob sie auch Dancefloor-tauglich seien.

Ohnehin war der Beleuchter der Spiritus rector des Abends. Hatte er die Bühne eben noch zur einen Hälfte in purpurnes, zur anderen in orangefarbenes Licht getaucht, ließ er in der nächsten Minute die Spektralfarben auf dem Nebel Nordlicht spielen. Dann wieder erglänzte das Schlagzeug in alles veredelndem Gold. Wer da in dieser Wattflut unverdrossen die Gitarrensaiten rieb, wurde fast nebensächlich. Der immerwährende Viervierteltakt machte gefügig, und neunzig Minuten vergingen wie im Flug. Sechziger- und Siebziger-Elemente und einige Reste Velvet Underground: einerlei, The Jesus and Mary Chain zeigten, daß sie Rockmusiker geworden sind. Die Gestaltung ihrer Show aber überlassen sie ihren Bühnentechnikern. Claudia Wahjudi