Leipzig zielt auf Paris

■ Ein Interview mit dem Ostberliner Verleger Christoph Links über die Chancen der Leipziger Buchmesse

taz: Sie waren mit Ihrem Christoph Links-Verlag auf der Frankfurter Buchmesse und jetzt in Leipzig. Hat sich der Aufwand für Leipzig gelohnt?

Christoph Links: Die Bilanz ist positiv. Wir haben ein paar Aufträge geschrieben; wir haben Absprachen getroffen für Lesungen, und wir hatten auch gutbesuchte eigene Veranstaltungen hier. Wir hatten natürlich erst Zweifel, als wir hörten, daß hier über 200 Veranstaltungen sind, ob dann noch Publikum übrigbleibt. Und so sind wir angenehm überrascht worden: Zum Beispiel Hans Knoblochs Buch über die Geisterbahnhöfe in Berlin, die stillgelegten Bahnhöfe, war ein großer Erfolg.

Das Leipziger Publikum interessiert Berliner Bahnhöfe?

Das war unsere große Überraschung. Aber es ist eben ein Band zur Zeitgeschichte und keiner mit explizitem Lokalkolorit. Auch die Lesung des Ostberliner Journalisten Christoph Dieckmann über seine erste Amerikareise war gut besucht. Aber unsere einzige Neuvorstellung, ein Buch über ökologische und wirtschaftspolitische Umbaukonzepte für die neuen Bundesländer, lief gar nicht. Und da hatten wir gerade auf Leipziger Publikum gezählt, das ja doch mit Bitterfeld/Halle die Problematik vor der Haustür hat. Das hat wohl mit dem Trend zu tun, sich nicht auch noch in der Freizeit mit den Widrigkeiten des Alltags auseinanderzusetzen. Und das wiederum ist eine Erfahrung, die wir generell mit dem politischen Sachbuch gemacht haben. Diese Sparte verkauft sich viel besser in den alten Bundesländern.

Hat die Messe dann für Sie als Ostberliner — politischen — Verlag einen Umdenkungsprozeß gebracht?

Sagen wir, wir sind durch die Diskussionen der letzten Tage im Umdenken bestärkt worden. Was hilft der hehre Anspruch, wenn wir pleite gehen. Daß es uns und beispielsweise den Forum Verlag Leipzig noch gibt, hängt eben auch damit zusammen, daß der Forum neben seinem Bitterfelder Umweltreport auch Ossi- Witze verlegt. Mit den politischen Sachbüchern allein können wir nicht überleben können. Trotzdem wagen wir uns 1993 an ein großes Unternehmen heran: Wer war wer in der DDR? Ein Lexikon mit über 1.500 Kurzbiographien. Man begegnet ja heute bestimmten Leuten aus alten Zeiten in sehr ulkigen Positionen.

Es ist viel über den Fortbestand der Leipziger Messe geredet worden. Wo liegt die Chance für Leipzig?

Frankfurt bleibt ungenommen die große internationale Lizenzmesse. Aber wir brauchen Leipzig nicht als Klein-Frankfurt, sondern als nationale Publikums- und Ordermesse. Gerade wir als Ostberliner Verlag suchen das Gespräch mit den Buchhändlern, und wir können ja nicht ständig von Eisenach bis Hiddensee reisen, aber justament die Buchhändler aus Eisenach und Hiddensee waren bei uns am Stand. Wir wollen gerne weiter nach Leipzig kommen, weil wir als kleines Unternehmen eben wissen, wie mühsam es ist, ein standing zu bekommen. Da können wir auch akzeptieren, wenn man sagt, es braucht ein bißchen, bis Leipzig sein endgültiges Profil gefunden hat.

Hat eine „nationale Buchmesse“ nicht auch den Ruch des Provinziellen?

Überhaupt nicht. Der „Salon de Livres“ in Paris zum Beispiel, auch eine nationale Buchmesse: offen fürs Publikum vom ersten Tag an. Und dort gehen auch ausländische Verleger hin, um sich zu orientieren. Aber die Frage ist doch, wo man die Akzente setzt. Leipzig wird nicht der große Lizenzhandelsplatz, aber Leipzig kann für den Raum ein interessantes Einzugsgebiet werden, auch für große literarische Veranstaltungen.

Viele Verleger haben hier kritisiert, daß mit den über 200 Veranstaltungen schon der erste Schritt in Richtung Frankfurter Gigantomanie gesetzt wurde. Wo ist das Leipziger Profil?

Ich halte nichts von Schwerpunktthemen. Es war auch in den Abschlußgesprächen zu merken, daß von dem eigentlichen Schwerpunktthema Tourismus und Sprachen kaum jemand etwas mitbekommen hat. Insofern brauchen wir kein neues Thema, wir brauchen den Dialog mit Buchhändlern und Lesern. Und das ist dieses Jahr auf der Messe geschehen.

Ist diese Beobachtung auch eine Absage an das so gern gepflegte Klischee vom Zusammenbruch des Leselandes DDR?

Das wäre übertrieben. Leipzig war ein bescheidenes Ereignis, daß weiteres hoffen läßt. Ansonsten sind unsere Erfahrungen eher negativ. Wie gesagt, unser Hauptumsatz liegt im Westen. Und wenn ich nach Hoyerswerda gehe, wo fast fünfzig Prozent der Bevölkerung arbeitslos ist, dann kann ich doch niemanden übelnehmen, daß er an etwas anderes denkt als an Bücher. Es wird hier seine Zeit brauchen, deshalb muß man nicht gleich die Messe einstampfen.

Was wünschen Sie sich von der Messegesellschaft für das nächste Jahr in Leipzig?

Dafür zu sorgen, daß man morgens um neun Uhr irgendwo in der Innenstadt ein Frühstück kriegt. Das Gespräch führte Nana Brink